Verlust von Wahrhaftigkeit und Verantwortung in der Politik

Am Wirtschaftsforum Toggenburg, dessen Thema »Kommunikation« war, durfte ich dieses Jahr ein paar Gedanken zu Social Media präsentieren. Die anderen Referenten – für die Sachthemen waren leider ausschließlich Männer geladen worden – haben mich fast alle sehr beeindruckt: Besonders der ehemalige Bundesratssprecher Oswald Sigg, der im Gespräch mit Patrick Rohr seine Einschätzungen zur Bedeutung politischer Kommunikation in der Schweiz präsentierte. Ich fasse seine zentralen Aussagen im Folgenden zusammen und kommentiere sie anschließend kurz.

Sigg erzählte zunächst von Adolf Ogis legendärer Lötschberg-Rede (Neujahr 2000): »Die Tännli-Rede war das kommunikative Glanzstück Adolf Ogis«. Dies, obwohl alle Beraterinnen und Berater sowohl einen anderen Ort als auch einen anderen Inhalt vorgeschlagen hätten und Filippo Leutenegger von SF ins Bundeshaus anrief, um mitzuteilen, offenbar sei nur die Probeaufnahme angekommen in Leutschenbach, die richtige möge doch bitte nachgesendet werden. Das Echo, das Ogi erhielt, sei unerwartet gewesen – Tausende Emails, Kisten voll Briefpost, »98% positiv«.

Das Beispiel Ogi zeigt für Sigg, dass politische Kommunikation dann funktioniert, wenn Politik nicht verkauft werden muss. Heute seien die Kommunikationsstäbe des Bundesrates damit beschäftigt, für die Politik des Bundesrates zu werben. Sigg führt das auf das geringere Gewicht der Politik in den Medien zurück, das eine stärkere Selektivität und Zuspitzung erfordere. Die Politik reagiere so auf die medialen Veränderungen. »Heute geht niemand mehr davon aus, dass Politikerinnen und Politiker ehrlich kommunizieren.«

Oswald Sigg. Quelle: Grundeinkommen.ch

Dabei, so Siggs paradoxer Schluss, gerade das Eingestehen eines politischen Scheiterns oder eines Fehlers enorm zur Glaubwürdigkeit einer Politikerin oder eines Politikers beitragen. Das Gebot der Wahrheit sei eines, das man in der Politik nicht einfach ablegen könne und dürfe. Wer Dinge verschweigt, von denen er oder sie Kenntnis hat, wird heute unweigerlich über sie stolpern.

Und dennoch – hier beginnt mein Kommentar – ist dieses Stolpern in den meisten Fällen belanglos. In einer Analyse zum BVK-Debakel schreib der Zürcher SVP-Kantonsrat Claudio Zanetti im Tages-Anzeiger:

Im Begriff «Verantwortung» steckt das Wort «Antwort». Gemeint ist die Antwort, die jemand auf einen Vorwurf geben kann. […] Handelt es sich um eine der üblichen PR-Antworten der Politik, hat der Regierungsrat damit sein Versprechen gebrochen, offen und transparent zu kommunizieren. […] Verantwortung zu tragen, hängt auch nicht vom Verschulden ab. In einer Führungsfunktion bleibt jemand selbst dann verantwortlich, wenn kein persönliches Verschulden vorliegt. Wer führt, hat den Erfolg sicherzustellen. Und wenn stattdessen ein Misserfolg eintritt, hat er Verantwortung zu übernehmen.

Das scheinen mir sehr entscheidende Überlegungen sein: Politik muss – gerade von Exekutivmitgliedern – kommuniziert werden. Ehrlich und transparent. Dafür sind auch die Kommunikationsverantwortlichen dieser Regierenden angestellt, nicht für die Präsentation einer Person oder von Parteipolitik. (Sigg selber hat dann aber auch erzählt, wie er im Streit zwischen Samuel Schmid und Christoph Blocher Schmids parteipolitischen Interessen wahren musste). Verantwortung und Wahrhaftigkeit müssen – und das ist auch die Aufgabe der Medien – mehr Gewicht erhalten. Das ist aber auch deshalb schwierig, weil in Schlüsselbereichen die politische Kommunikation des Staates die Aufgaben der Medien übernimmt. So schalte er Kritik aus, meint Sigg: Die Abstimmungsbulletins sind umfassende Informationen, die aber letztlich bewirken, dass andere Medien sich zurückhalten und damit einen Diskurs verhindern.

Handeln die Wählerinnen und Wähler von rechtskonservativen Parteien gegen ihre Interessen?

Vor zwei Monaten habe ich über die Arbeiten von Chris Mooney geschrieben, der erklärt, dass Wählerinnen und Wähler der amerikanischen Republikaner häufig die Realität verkennen und belegte wissenschaftliche Erkenntnisse leugnen, weil es ihnen Stabilität (z.B. in einer Glaubensgemeinschaft) wichtiger ist als die korrekte Darstellung von Tatsachen.

Jonathan Haidt forscht an der University of Virginia und an der New York University über »Moral Foundations Theory« – und analysiert die Differenz zwischen konservativen und liberalen Wählerinnen und Wählern in den USA von einem anderen Standpunkt aus, wie er in einem lesenswerten Artikel im Guardian und in seinem Buch, The Righteous Mind, darlegt.

Seine Theorie basiert auf der Annahme, Moral bestünde aus sechs Polpaaren:

  1. Fürsorge – Schaden
  2. Fairness – Betrügen
  3. Freiheit – Unterdrückung
  4. Loyalität – Betrug (in einem anderen Sinne als bei 2.)
  5. Autorität – Unterordnung
  6. »Heiligkeit« (Dinge als unantastbar betrachten, nicht nur im religiösen Sinne) – Erniedrigung

Auf yourmorals.org kann man den eigenen moralischen Kompass testen. Haidt tut das, indem er verschiedene Fragen stellt, bei denen es immer darum geht zu sagen, wie viel Geld man erhalten müsse, um eine bestimmte Handlung auszuführen:

Das führt zu einer Darstellung der eigenen Moral, die man wohl besser in einem Smartspider präsentieren würde:

Der grüne Balken sind »meine« Resultate, der blaue der von Liberalen (Linken) und der rechte der von Konservativen (Rechten).

Haidts Folgerungen sind nun folgende:

Konservative haben höhere moralische Standards in den Bereichen Autorität, Loyalität und »Heiligkeit«/Reinheit. Er spricht davon, dass sich Moral wohl ähnlich verhalten wie die Geschmacksempfindungen auf der Zunge – d.h. wir nehmen verschiedene Geschmacksrichtungen war, können sie unterscheiden und bevorzugen. Damit erklärt er nun das Wahlverhalten von Menschen, die Politikerinnen und Politiker wählen, die ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit Schaden zufügen:

Many commentators on the left have embraced some version of the duping hypothesis: the Republican party dupes people into voting against their economic interests by triggering outrage on cultural issues. „Vote for us and we’ll protect the American flag!“ say the Republicans. „We’ll make English the official language of the United States! And most importantly, we’ll prevent gay people from threatening your marriage when they … marry! Along the way we’ll cut taxes on the rich, cut benefits for the poor, and allow industries to dump their waste into your drinking water, but never mind that. Only we can protect you from gay, Spanish-speaking flag-burners!“

Diese »duping hypothesis«, also die Hypothese, rechtskonservative Parteien würden ihre Wählerschaft täuschen und mit Tricks dazu bringen, ihre Interessen zu vergessen, widerlegt Haidt, indem er darauf hinweist, dass diese Wählerschaft andere Präferenzen hat: Sie ist bereit, die wirtschaftlichen Schäden in Kauf zu nehmen, weil sie besonderen Wert auf Autorität, Loyalität und die »Heiligkeit« von z.B. nationalen Werten legt.

* * *

Meine Meinung: Ich finde Haidts Ansatz deshalb spannend, weil er eine Wahl als eine Entscheidung auffasst und zeigen kann, welche Interessen gegeneinander abgewogen werden. Natürlich basieren diese Entscheidungen häufig auf einer falschen Einschätzung der Realität – worauf Mooney hinweist. Gemeinsam ist beiden Ansätzen, dass Rechtskonservative sich dadurch auszeichnen, dass sie eine Glaubensgemeinschaft bilden. Will man sie von anderen Positionen überzeugen, muss man über ihren Glauben argumentieren: Ihnen zeigen, dass sie loyal bleiben, wenn sie sich anders entscheiden.

* * *

Zusatz 12. Juni 2012: Im Freitag erscheint heute eine Kritik an Haidts Buch. Darin bemängelt George Monbiot, dass Haidt keine Belege für das Wahlverhalten der Bevölkerung anführe. Konkret: Psychologisch mag Haidt Recht haben, politisch liegt er daneben, weil heute zum Beispiel in den USA mehr Menschen aus sozial tieferen Schichten Demokraten wählen, aber insgesamt weniger abstimmten gehen. Monbiots Fazit:

Wenn Haidt und seine Bewunderer Recht hätten, bestünde die richtige Strategie für Labour, die US-Demokraten und andere ehemals fortschrittliche Parteien darin, sogar noch weiter nach rechts zu schwenken. Wenn aber das Problem in Wahrheit nicht darin besteht, dass die abhängig Beschäftigten ihre Wahlpräferenzen gerändert haben, sondern dass sie überhaupt nicht mehr wählen gehen, weil sie zwischen den ihnen offerierten politischen Angeboten keinen Unterschied erkennen, besteht das richtige politische Rezept im genauen Gegenteil: Wieder weiter nach links zu rücken und nicht „Ordnung und nationale Größe“ in den Vordergrund zu stellen, sondern Fürsorge und wirtschaftliche Gerechtigkeit.

Das Hakeem Olajuwon-Problem – oder warum man Frauen wählen sollte

Hakeem Olajuwon war ein ausgezeichneter Basketball-Spieler in der NBA. Bill Simmons, ein Sportreporter in den USA, hält ihn für den 11. besten Spieler aller Zeiten. In seinem Buch »The Book of Basketball« fragt er sich in einem Gedankenexperiment, wie groß die Chancen waren, dass Olajuwon ein Star wird:

  1. Er wuchs in Nigeria auf, wo alle Jugendlichen und Kinder Fussball spielen. Er dachte nie daran, Basketball zu spielen und träumte von einer Karriere als Fussballer.
  2. In der Pubertät wächst er enorm.
  3. Ein Lehrer weist ihn darauf hin, dass er Basketball spielen könnte.
  4. Er tut das, reist in die USA, wird an einem College aufgenommen und lernt alles, was man lernen muss.
  5. Im Sommer trainierte er mit dem arrivierten NBA-Star Moses Malone, der in der Nähe wohnte.
  6. Er wird von einem NBA-Team gedraftet.
  7. Sein Körper entwickelt sich weiter.

Man kann sich vorstellen: Die Wahrscheinlichkeit, dass das so ein zweites Mal passiert, ist ziemlich klein. Simmons rechnet nicht einmal mehr mit. Das Beispiel zeigt aber auch, dass es wohl in Nigeria und vielen anderen Ländern hochtalentierte Basketballspieler und -spielerinnen gibt, die nie Basketball spielen.

Wenn man die Frage verallgemeinert, so geht es um folgendes Problem: Wie schafft es eine Gesellschaft, dass die wichtigen beruflichen Funktionen von den Menschen ausgeübt werden, die dafür am besten geeignet sind? Dass z.B. in der Schweiz die besten Fussballspieler in der Nationalmannschaft enden, ist recht wahrscheinlich. Nicht ganz sicher, aber wahrscheinlich. Wie wahrscheinlich ist es nun, dass die besten Ärztinnen und Ärzte diesen Beruf ergreifen? Oder die besten Lehrerinnen und Lehrer? Oder die besten Politikerinnen und Politiker?

Wenn nun auf nationaler Ebene Frauen nur mit einem Anteil von rund 30% halbberuflich Politik betreiben, dann kann man sich fragen, ob das Politik-Talent tatsächlich nicht gleich verteilt wird. Wäre das so, gäbe es dafür nur einen möglichen Grund: Die Biologie.

Ich halte diese Erklärung aber für unwahrscheinlich. Frauen können praktisch alle Aufgaben, die nichts mit körperlicher Kraft zu tun haben, gleich gut ausüben wie Männer. Also hieße das, dass es viele Frauen mit Politik-Talent gibt, welche nicht gewählt werden – während es einige Männer mit weniger Politik-Talent gibt, die gewählt werden.

Das ist nun der entscheidende Grund, weshalb Frauen gewählt werden sollen. Es braucht nicht viel Scharfsinn um diesem Aufruf entgegenzuhalten, dass er ja gerade die sinnlose Geschlechterzuordnung repliziere, dass der ideale Zustand ja der wäre, in dem nicht nach Geschlecht gewählt würde. Das Problem dabei ist, dass es den idealen Zustand erst gibt, wenn Frauen in Bezug auf politische Karriere dieselben Möglichkeiten haben wie Männer.

Dies ist aber heute nicht so. Die »Kinderlobby Schweiz« bringt z.B. zwei Jugendliche als Lobbyisten ins Bundeshaus. Zwei Männer, notabene. Auf meine Nachfrage meinte Daniel Goldberg, der Verantwortliche:

Wir hatten bewusst sowohl nach einer weiblichen als als auch einer männlichen Vertretung gesucht und auch ausgeschrieben. Aber wie es so oft in der Politik passiert – 1. die jungen Frauen, die wir angefragt hatten, hatten kein Interesse für politisches Engagement 2. hatten wir leider keine weiblichen Bewerberinnen, die als Kinderlobbyistinnen aktiv werden wollten.

Wenn wir eine Liste machen, was es alles braucht, um als Politikerin oder Politiker in Erscheinung treten zu wollen, wäre sie ungefähr so lang wie die oben. Und vor Wahlen geht es eben darum, ob man »Interesse für politische Engagements« hat und sich auf Aufrufe meldet. Das tut man dann, wenn man darauf vorbereitet worden ist, wenn man in seiner Peer-Group und in seiner Familie dafür Anerkennung erhält etc. Hier liegt meines Erachtens das Problem: Wir lassen es zu, dass sich Frauen zu wenig um Politik kümmern und geben so vielen Talenten die Chance nicht, mitzuwirken und sich einzubringen.

Wählt man nun Frauen, so sendet man ein Signal: Es wird attraktiv für Parteien, mehr Frauen aufzustellen, sie beginnen, Frauen zu rekrutieren und sich zu überlegen, unter welchen Umständen sich Frauen für Politik interessieren könnten. Es wird zudem selbstverständlich, dass politische Geschäfte gleich oft von Frauen wie von Männern betreut werden etc.

»links« – Gedanken zu einem Begriff

Ich mag es nicht, als »Linker« bezeichnet zu werden. Das hat drei Gründe: Erstens erscheint es mir als eine Abwertung meiner Haltungen und meiner Denkweise, weil sie als Resultat einer Art politischen Infektion betrachtet werden. Zweitens werden die Haltungen auf finanzielle Interessen reduziert: »Linke« sind staatsgläubig, weil sie vom Staat finanziell abhängig sind. Diese Reduktion ärgert mich natürlich besonders, weil ich meinen Lohn tatsächlich vom Staat beziehe. Gleichwohl ist es ein unredliches Argument, weil es nicht meine Aussagen, sondern meine Person in den Blick nimmt. Drittens ist der Begriff negativ konnotiert: »Linke« sind »Nette« und damit auch naiv, weltfremd, ignorant. Sie haben, so scheint es, gute Absichten, handeln aber so, dass sie das Gegenteil bewirken. Diese Konnotation geht zurück auf eine der ersten vielbeachteten SVP-Kampagnen, das so genannte »Messerstecher-Plakat« von 1993:

Betrachten wir der Vollständigkeit halber noch eine politologische Definition. In den Erläuterungen zur Parlamentskarte von Michael Hermann steht [pdf]:

«Links» steht für ein Staatsverständnis, das Wohlfahrt und Ausgleich ins Zentrum stellt, im «rechten» Staatsverständnis stehen dagegen Ordnung und Sicherheit im Fokus. Die Links-Rechts-Achse kann dabei nicht auf den Nenner «mehr oder weniger Staat» reduziert werden. Die Parlamentarier im rechten Spektrum des politischen Raums setzen jedoch die Prioritäten anders als jene des linken. Statt für den Ausbau des Wohlfahrtstaats setzten sie sich für die Stärkung von Armee und Polizei ein. Entlang der Links-Rechts-Achse verlaufen ausserdem Abstimmungen zu Umweltschutz und zum Asylwesen. Die Parlamentarier auf der linken Seite des Raums stimmen dabei für mehr Umweltschutz und für ein an humanitären Prinzipien ausgerichtetes Asylwesen.

Auch diese differenziertere Begriffsverwendung ist für mich nicht befriedigend. Ich habe den Anspruch, Probleme zu analysieren, sie aus mehreren Perspektiven zu sehen und verschiedene Lösungsvorschläge zu prüfen. Den Haltungen, die ich dann einnehme, wird eine solche Klassifikation nicht gerecht. Was sagt es aus, wenn ich in einigen Fällen dafür bin, dass die Polizei gestärkt wird, in anderen Fällen dagegen? Was sagt es aus, wenn ich dafür plädiere, dass der Staat Armen dabei hilft, ein menschenwürdiges Leben zu führen, aber gleichzeitig auch sehe, dass es in einem sinnvollen Rahmen finanzielle Anreize braucht, um Leistungen zu erbringen?

Letztlich stört mich auch, dass in der Diskussion über politische Meinungen und die Gesellschaftsordnung oft ein falsches Dilemma eingesetzt wird: Wer sich an den Auswüchsen und Auswirkungen eines globalisierten, durch staatliche Eingriffe nur unzureichend gesteuerten Kapitalismus stört, fordert nicht eine politische Ordnung, wie sie im real existierenden Kommunismus herrscht und geherrscht hat. Es gibt nicht den einen, reinen Kapitalismus – und es gibt auch nicht nur eine Alternative. Es wäre wünschenswert, in Diskussionen auf der Ebene der Argumente zu bleiben: Nicht ideologische Verkürzungen einsetzen, nicht persönliche Umstände ins Spiel bringen und nicht historische Gegebenheiten heranziehen, die sich nicht direkt auf die Argumente beziehen.

* * * 

Anmerkung vom 24. Januar, 13.30:
Die folgende Passage war der ursprüngliche Schlussabschnitt des Posts. Ich finde ihn – nach der Diskussion in den Kommentaren – unglücklich. Ich hätte gerne Beispiele für beeindruckende gesellschaftspolitische Analysen, die zu einem Ergebnis geführt haben, das niemand als »links« bezeichnen würde.

Aber die Frage ist, ob eine präzise, auf Fakten beruhende, intelligente Analyse der gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten nicht automatisch zu einer »linken« Position führt, wie das gestern auf Twitter diskutiert worden ist:

http://twitter.com/#!/patrik_mueller/status/161440696140709889

http://twitter.com/#!/cedricwermuth/status/161472693865168896

Diese Frage ist echt: Immer wieder wird debattiert, ob es rechte Intellektuelle gibt. Damit meine ich insbesondere Denkende, die unabhängig sind und aus ihrer Ideologie keinen Profit schlagen, sondern mit und in ihrem Denken begründen. Vorschläge nehme ich gerne in den Kommentaren entgegen.

Trolle auf der politischen Bühne

Der Begriff Troll wird in der Netzkultur für eine Person verwendet, die mit ihren Beiträgen in Diskussionen oder Foren unter Umständen stark provoziert. Mutmaßliches Ziel des Trolls ist das Stören der ursprünglich an einem Sachthema orientierten Kommunikation und das Erlangen von Aufmerksamkeit.

So der Beginn des Wikipedia-Artikels zum Begriff Troll als Element der »Netzkultur«. Im einflussreichen Artikel von Judith S. Donath (pdf, englisch) kann man nachlesen, wie das Umfeld des Usenets als Vorläufer von Internetforen und -kommentarspalten es möglich gemacht hat, unabhängig von seiner Identität zu provozieren und Diskussionen gleichsam entgleisen zu lassen.

Donath hat als eine mögliche Reaktion darauf vorgeschlagen, Diskussionen so lange zu archivieren, dass Trolle später auch noch als solche identifiziert werden können.

Meiner Meinung agiert eine Reihe von PolitikerInnen ebenfalls als Trolle im politischen System. Zwar ist es nicht möglich, von einer Scheinidentität aus zu agieren; dennoch ist das systematische Stören einer sachlichen Diskussion durch Provokationen als erfolgreiche Strategie im Buhlen um Aufmerksamkeit.

Es ist klar, dass aus der rechtskonservativen Ecke immer wieder Forderungen kommen, welche als »trollen« (Verb) identifiziert werden können – ja sogar in Abstimmungen angenommen werden. Die Minarettinitiative war einzig und allein darauf angelegt, eine sachliche Auseinandersetzungen mit dem Themen Migration und Religionsfreiheit zu verhindern; sie provozierte und fand mehr Aufmerksamkeit, als eine Handvoll möglicherweise geplanter Türmchen je hätte finden dürfen. Aber – und hier erinnert man sich an Donath – das Gedächtnis des politischen Systems reicht so weit ja nicht zurück.

Ebenso nutzen verschiedene Jungparteien diese Möglichkeit – wenn die JUSO Vasella und Co. nackt zeigt, so das als reine Provokation zu verstehen.

Auch der Präsident der CVP, Christophe Darbellay, agiert in regelmäßigen Abständen als Troll:

  1. Er fordert ein Verbot jüdischer und muslimischer Friedhöfe und entschuldigt sich dann dafür.
  2. Er bezeichnet die SVP als eine »Sekte von Debilen«.
  3. Er vergleicht die Forderung von Homosexuellen, als Paare Kinder adoptieren zu dürfen, mit der Forderung Kokainabhängiger, Kokain müsse legalisiert werden. 

Diese Aktionen haben mit der Sache an sich nichts zu tun. Darbellay – so meine Vermutung – weiß das auch. Argumentativ gibt es keine vernünftigen Gründe, homosexuellen Paaren die Adoption zu verweigern (vgl. dazu den offenen Brief von David Alan Sangines). Deshalb kann man dagegen nur antreten, wenn man die Diskussion entgleisen lässt, Empörung schafft und so Aufmerksamkeit für ein Anliegen und eine Person generieren kann, der diese Aufmerksamkeit in einer sachlichen Auseinandersetzung nicht zukommen würde (aufmerksam wurde sogar die amerikanische Huffington Post) .

Diese Meinung habe ich auch als Reaktion auf Andreas Kyriacous Kommentar hinterlassen.

Wie sollte man auf Trolle reagieren? Donath schreibt:

Responding to a troll is very tempting, especially since these posts are designed to incite.
Yet this is where the troll can cause the most harm, by diverting the discussion off the newsgroup topic and into a heated argument. Instead, most groups advise ignoring such posts, both to keep the discussion topical and in the hope that, if ignored, the troll will go away.

Kurz also: Man darf Trolle nicht »füttern«, nicht auf sie reagieren – weil sie so ihr Ziel gerade erreichen. Aber weil ihre Methode eben relativ perfid ist, ist es äußerst schwierig, einem Troll keine Beachtung zu schenken. [Bildquelle: Wikimedia.]

(Ich habe Herrn Darbellay am 22. November 2011 per Mail um eine Stellungnahme zu diesem Artikel gebeten. Auf seiner Homepage hat er etwas später diese Präzisierung aufgeschaltet, welche meiner Meinung nach die zwei Hauptprobleme (die Provokation sowie das Fehlen der Argumente für seine Haltung) ignoriert.)

Update 22. November, 21.50: Zwei Links hinzugefügt.

Schmerzfreie Politik.

Hätte ich am Samstag eine Prognose machen müssen, hätte ich gesagt, die drei Blöcke links, Mitte und rechts bleiben bis auf ein Prozent gleich stark. Damit hätte ich mich getäuscht:

  • das rechte Lager [SVP, Lega, MCR] verliert voraussichtlich 5 Sitze im Nationalrat, neu 58.
  • die Mitte [Rest] gewinnt 10 Sitze, neu 82.
  • das linke Lager [Grüne, SP, CSP, Linke] verliert 5 Sitze, neu 60.

Damit wurde aus drei ungefähr gleich starken Blöcken eine starke Mitte mit der GLP und der BDP als gewichtigen neuen Parteien – also eine stärkere, aber auch stärker zersplitterte Mitte.

Dieses Ergebnis interpretiere ich als den Wunsch nach einer schmerzfreien Politik, nicht als Bereitschaft zum Kompromiss. Das heißt beispielsweise:

  • Solide staatliche Leistungen, aber keine Steuererhöhungen.
  • Umweltschutz, aber kein Verzicht auf Mobilität, Energie und Komfort.
  • Tolle Lösungen mit der EU, aber ohne Gedanke an einen Beitritt.
  • Offenheit und Menschenrechte, aber nicht zu viele AusländerInnen.
  • Viel Freiheit für alle (z.B. liberale Ladenöffnungszeiten), aber keine Freiheit für Jugendliche und Nicht-Konforme.
  • Möglichst gute Löhne für den Mittelstand, aber eine Auslagerung der minderwertigen Arbeit ins Ausland und an Unprivilegierte ohne kostspielige Formen der Solidarität (Entwicklungshilfe, Mindeslöhne).

Diese Wünsche mögen (psychologisch) nachvollziehbar sein – lassen sich aber meiner Meinung nach nicht mit konkreter Politik vereinbaren. Politik, die sich auf eine so verstandene Mitte konzentriert, wird mittelfristig wichtige Entscheide umgehen, um niemandem die Illusion der Möglichkeit einer schmerzfreien Politik zu nehmen. Die neuen und alten Parteien der Mitte werden versuchen, sich nicht festlegen zu müssen.

Ähnlich äußert sich auch Balthasar Glättli im Interview auf Newsnet:

[Die Grünliberalen] werden nun ihre politische Haltung klarer vertreten und auch begründen müssen. Zum Beispiel ihre Härte in der Sozialpolitik, ihre undifferenzierten Sparbefehle. […]
Und anders als die Grünliberalen glauben wir, dass Umweltschutz nicht gratis zu haben ist – es wird auch wehtun. Das klingt nicht besonders gefällig, aber es stimmt: Wir brauchen eine strengere Umweltpolitik. Wer das nicht klar benennt, lügt seine Wähler an. Der Kampf gegen Umweltverschmutzung, Klimawandel und Ressourcenverschleuderung ist eine gigantische Herausforderung. Das ist keine moralische Frage, sondern eine Realität. Als Politiker muss ich nicht meine Positionen der Mehrheit anpassen, sondern versuchen, möglichst viele Leute von meiner Position zu überzeugen.
Ich halte nichts von einem Rechtsruck der Grünen. Auch ich bin dafür, Steuergelder sorgfältig auszugeben. Ich bin aber sehr dagegen, Steuergeschenke an Reiche zu machen und andere soziale Ungerechtigkeiten hinzunehmen, zum Beispiel in der Asylpolitik.

Zumindest mit dem Titel dieser Analyse trifft man die neue Mitte sehr gut (mit dem behaupteten Linksrutsch wohl weniger):

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Zu wünschen wäre, dass sich eine andere Kultur durchsetzt: Eine Politik, die sich am besseren Argument und an der Sache orientiert und nicht so sehr an der Parteilinie, an den Lobbys und an einer Ideologie; welche die divergierenden Bedürfnisse aller Menschen in Kompromisslösungen zu sammeln versucht und dabei Rücksicht auf die Schwächsten nimmt; letztlich auch eine Politik, in der die mediale Inszenierung und der Personenkult hinter die Geschäfte zurücktritt.

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Update 29. Oktober: Regula Stämpfli hat in ihrer Kolumne auf news.ch Bezug auf diesen Post genommen:

Wampflers Beispiele sind: Solide staatliche Leistungen, aber ja keine Steuererhöhungen. Umweltschutz ohne Verzicht auf Mobilität, Energie und Komfort. Möglichst hohe Löhne bei gleichzeitiger Auslagerung minderwertiger Arbeit. Auf ersten Blick ist klar, dass diese Wünsche unerfüllbar bleiben. Ohne Steuererhöhungen oder -umbelastung können staatliche Leistungen nicht finanziert werden. Ist der Umweltschutz ernstgemeint, bedeutet dies auch ein Umdenken und Andershandeln bezüglich Mobilität, Energie und Komfort. Hohe Löhne sind von ausgebauten sozialen und internationalen Mindeststandards abhängig etc. Wer also Schmerzfreiheit und Harmonie in der Politik propagiert, lügt sich und uns allen ganz gewaltig etwas vor.

Ich spinne Philippe Wampflers Gedanken zur Politik philosophisch weiter. Denn nicht nur die Wahlen vom letzten Sonntag zeigen den Wunsch nach möglichst schmerzfreien politischen Lösungen, sondern alles, was uns Menschen betrifft, soll plötzlich schmerzfrei sein. Koffeinfreier Kaffee, safer Sex, alkoholfreies Bier, Schönheitsoperationen, nikotinfreie Zigaretten, fettlose Hamburger, zuckerlose Schokolade, kalorienfreie Süssgetränke, polierte Psychoratgeber etc. sind alles Bestrebungen, die dunklen Seiten von deftigem Leben auszublenden.

Was es zur Entführung von »Zottel« zu sagen gibt

Nichts.

Bildquelle: Blick am Abend; Bearbeitung von mir.

Zottel ist eine Ziege. Werden Ziegen entführt bzw. entwendet, können ihre Besitzer die Polizei einschalten. Die Polizei wird wissen, wie man mit (angeblichen) Ziegendiebstählen umgeht – schließlich werden in der Schweiz wohl schon seit 163 Jahren (so lange gibt es die Schweiz) Tiere entwendet und wieder gefunden.

Das ist übrigens der Besitzer von Zottel, befragt von der UNIA:

Zottel hat nichts mit Politik zu tun. Weder Ziegen noch Schafe noch Ratten oder Raben sind dazu geeignet, politische Zusammenhänge darzustellen. Politik hat mit dem Zusammenleben von Menschen zu tun. Mit Argumenten. Mit dem Abwägen von Argumenten. Mit Haltungen. Positionen, Programmen. Auch mit Visionen.

Am Wochenende wird in der Schweiz gewählt. Den politischen Diskurs beherrschen eine Ziege und das Mutmassen darüber, welche Partei wie viel Geld für Plakate ausgibt.

Es könnte einem Angst und Bange werden. Sagt auch Dr. Gonzo.

http://twitter.com/#!/FlurinJecker/status/125185755315306496

Wahlverdruss, Postdemokratie – und gute Musik

Wer nur die gute Musik möchte, soll runterscrollen… 

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Wirft man einen Blich in die Zeitungen, könnte man Zweifel bekommen, ob man sich überhaupt noch mit dem Wahlkampf auseinandersetzen soll. Wählen soll man, natürlich – aber der ganze Wahlkampf kann nur besser werden, wenn er ignoriert wird. Man spricht darüber, welche PolitkerInnen wie viel verdienen oder wie legitim es ist, dass sich eine Partei in Schwingerkleidung ablichten lässt – und kann gleichzeitig in der Boulevardpresse lesen, dass einige Nationalräte ab und zu den »falschen Knopf« drücken und das schmunzelnd kommentieren können.

Letztlich sind die Fronten völlig klar: Die Think Tanks der Wirtschaftsverbände haben es endlich geschafft, die verschiedenen Formen der Wirtschaftskrise alleine auf die falsche Politik zu wenig wirtschaftsfreundlicher Kräfte zurückzuführen – gemäß dem Axiom, dass die Wirtschaft gar keine Fehler machen kann, weil sie ja nur ein Ausdruck der menschlichen Bedürfnisse sei. Letztlich muss Politik nur dafür sorgen, dass die Wirtschaft ungehindert agieren kann – und allen würde es blendend gehen. Ein Staat muss deshalb vor allem eines: Sparen. Dieses Credo kann man nun entweder liberal oder nationalkonservativ formulieren – und dann problemlos mit massiven Rüstungsausgaben koppeln, welche die meisten anderen Positionen ad absurdum führen (wie z.B. das Lob der direkten Demokratie, das Wettern gegen staatliche Eingriffe, die Ausgabenhemmung etc.).

Letztlich befinden wir uns klar auf dem Weg in Richtung Postdemokratie, dem Konzept von Colin Crouch, auf das ich auch schon hingewiesen habe. Crouch schreibt:

Der Begriff [Postdemokratie] bezeichnet ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden […], in dem aber konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während Wahlkämpfen so stark kontrollieren, daß sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man über eine Reihe von Problemen diskutiert, die Experten zuvor ausgewählt haben. Die Mehrheit der Bürger spielt dabei eine passive, schweigende, ja sogar apathische Rolle, sie reagieren nur auf die Signale, die man ihnen gibt. Im Schatten dieser politischen Inszenierung wird die reale Politik hinter verschlossenen Türen gemacht: von gewählten Regierungen und Eliten, die vor allem die Interessen der Wirtschaft vertreten.

Dazu eine letzte Bemerkung: Gerade die Experten- und Eliten-Skepsis der nationalkonservativen Bewegung (SVP) ist äußerst paradox. In der Auswahl der Themen, Positionen und Kommunikationsformen wird der SVP-Kurs bis ins Detail von ExpertInnen kontrolliert. Diese ExpertInnen bleiben aber im Hintergrund, sie werden selten erwähnt – raten aber den Gesichtern der Partei gleichzeitig, Fachleute wo immer möglich zu diskreditieren und anzugreifen.

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Ich möchte den Post mit guter Musik abschließen, ein paar Songs, die mir im Moment gefallen:

Was ist eigentlich das Problem mit der SP?

Zuerst ein Disclaimer: Ich bin nicht Mitglied der SP, wähle nicht nur SP und habe eine Reihe politischer Haltungen, die sich nicht mit den offiziellen SP-Positionen decken. Ich mache auch keine Werbung für die SP.

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Wenn man sich vor den Wahlen so umhört, hat man den Eindruck, es gäbe für Leute wie mich ein Problem, die SP zu wählen. Ich meine damit gebildete, offene, urbane, vernetzte, ethisch reflektierende Menschen.

https://twitter.com/#!/mathiasmenzl/status/116010271557959681

https://twitter.com/#!/Ugugu/status/116124601012068352

Ich verstehe das Problem nicht. Man mag politisch andere Ansichten als die SP haben: Eine große Armee wichtig finden, den Umgang mit Schwarzgeld moralisch vertretbar, Repression ein taugliches Mittel, auch um Migrationsprobleme zu lösen – oder staatlich verordnete Bildung, Solidarität und Fairness eine problematische Freiheitsbeschneidung. Man kann auch das politische Programm der SP untauglich finden. Oder ihre PolitikerInnen inkompetent.

Mein Eindruck ist aber, dass es nicht darum geht. Vielmehr überlegen sich Leute, wen sie wählen sollen, die – rational überlegt – gerade die SP wählen müssten. Das aber nicht wollen. Und ich frage mich: Warum eigentlich nicht?

Was meint »antidemokratisch«?

Duden.de, Schlagwort »antidemokratisch«

Wie der Begriff der Demokratie, so ist der Vorwurf, jemand handle »antidemokratisch«, zu einem Schlagwort geworden. Gestern habe ich Regula Stämpfli unter anderem mit den Worten zitiert:

Wer die Sprache zugunsten von Zahlen aus der Demokratie streicht, handelt antidemokratisch.

Im einfachsten Sinne (Duden) handelt jemand antidemokratisch, wenn er oder sie sich gegen die Demokratie richtet.

Man kann das nun generell tun und sich gegen die Demokratie als System richtigen. Julie Zeh schrieb dazu in ihrem Essay Supranationales Glänzen (in: Alles auf dem Rasen: Kein Roman, S. 167):

Die Begründung für die Alternativlosigkeit der Demokratie kam nie über die Bemerkung hinaus, dass Demokratie die schlechteste unter aller Staatsformen sei – abgesehen von sämtlichen anderen. Trotz nachlassenden Interesses der Bürger an der Politik wagte niemand den Gedanken, dass die Demokratie sich überlebt habe, dass die Politikverdrossenheit kein vorübergehendes Phänomen, sondern ein Zeichen dafür sei, dass der Wille aufhörte, vom Volke auszugehen.

Dieses Zitat könnte man in einem allgemeinen Sinne als antidemokratisch bezeichnen – indem bestritten wird, ihre Grundlagen seien weder gut begründet noch unveränderlich.

Betrachtet man die Definition moderner Demokratien etwas genauer, kann der Begriff »antidemokratisch« differenziert werden. Zu einer Demokratie gehören folgende Elemente – wenn man die Theorie etwas vereinfacht:

  • legitimierte Entscheidungsfindungsprozedur für politische Normen (z.B. Gesetze)
  • Garantie der Grundrechte jedes Einzelnen gegenüber dem Staat, gegenüber gesellschaftlichen Gruppen (insbesondere religiösen Gemeinschaften) und gegenüber anderen Einzelpersonen
  • Gewaltenteilung zwischen den Staatsorganen Regierung [Exekutive], Parlament [Legislative] und Gerichten [Judikative]
  • allgemeines und gleiches Wahlrecht
  • Meinungs- und Pressefreiheit
  • Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit

Damit ist nun z.B. eine Definition von »antidemokratisch« möglich, welche Autonome einschließt, die eine Demonstration von AbtreibungsgegnerInnen stört (vgl. den Blogpost von Andreas von Gunten dazu) – weil die sich gegen die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit richten.

Oder man könnte die Verhinderung des Stimm- und Wahlrechtes für AusländerInnen als antidemokratisch bezeichnen, weil dadurch verunmöglicht wird, dass dieses Recht allgemein und gleich ist (vgl. dazu verschiedene Artikel in der NZZ).

Damit ist aber noch nicht bestimmt, was Stämpfli mit dem Begriff meint, wenn sie sagt, das Ersetzen von »Sprache« durch »Zahlen« sei eine antidemokratische Handlung. Es ist davon auszugehen, dass sie damit einen etwas engeren Entscheidungsfindungsprozess meint: Dieser basiert idealerweise auf dem, was Jürgen Habermas einen »herrschaftsfreien Diskurs« genannt hat. Er ist bestimmt durch »de[n] zwanglose[n] Zwang des besseren Arguments und das Motiv der kooperativen Wahrheitssuche«. Das heißt: Demokratie findet dann statt, wenn Argumente ausgetauscht werden und gemeinsam nach einer (politischen) Wahrheit gesucht wird. Und das kann nur in einem Gespräch passieren.

In diesem Sinne können auch die Strategie und Organisation der SVP (wie auch verschiedener Wirtschaftsverbände in der Schweiz, Lobbyisten und armeenahe Vereinigungen), die parteiintern und auch im politischen Handeln teilweise versucht, Gespräche und den freien Austausch von Argumenten zu verhindern, als antidemokratisch bezeichnet werden. Urs Widmer bestreitet aus diesen Gründen in der Zeit, dass die SVP eine Partei sei:

Ich halte Herrn Blocher und seine Partei für eine große Gefahr für dieses Land. […] Weil die SVP gar keine Partei ist, sondern eine Nebelmaschine. Der Nebel besteht hauptsächlich aus Kosovaren, die Schweizer aufschlitzen, und aus anderen fremdenfeindlichen Themen. Hinter dem Nebel machen aber einige, die selber sehr reich sind – Herr Blocher allen voran –, eine Politik der Reichen. Das ist keine Politik des kleinen Mannes. Diese Vernebelung ist eine gefährliche Sauerei. Es geht um Macht.