Prüderie – eine Auslegeordnung

Eine These, die beim Apéro eigentlich immer gut ankommt, lautet: Heute sei die Gesellschaft/die Jugend total prüde, während die Scheinwelt der Werbung und der Medien das Gegenteil suggeriere. Zudem glaube die Gesellschaft/die Jugend, früher seien alle viel prüder gewesen, obwohl das nicht stimmt.

Kurt Imhof formulierte kürzlich in der Diskussion über den Umgang der Medien mit #Aufschrei die These etwas akademischer:

Faszinierend ist doch das Faktum, dass wir uns alle – inmitten einer hochsexualisierten Informations- und Unterhaltungsindustrie – immer mehr in eine neue innerweltliche Askese einkerkern, die bereits Blicke auf die hergezeigten Primärmerkmale – moralisch sanktioniert. Geschweige denn die Thematisierung dieser Merkmale.
Die PuritanerInnen, würde Max Weber sagen, wussten wenigsten noch wieso sie sich in ihrem Erdental des Leidens jeglicher Körperlichkeit (bis auf die Reproduktionspflicht) enthalten mussten. Es ging immerhin um ihren Gnadenstand, also um die Zutrittsgewissheit zum ersehnten Paradies entgrenzter Sinnlichkeit. Bei uns geht es bloss um politische Korrektheit im medienwirksamen, weil moralgesättigten Täter-Opfer-Gesellschaftsspiel beim Preis unserer Skandalisierung. Die PuritanerInnen hatten es besser.

Dieser Kommentar hat mich verärgert, weil er auch bekannte Derailing-Strategien setzt: Diskussionen über Sexismus werden häufig über den Verweis auf politische Korrektheit, Moral und eben Prüderie ausgehebelt. Die Begriffe sind eigentliche Kampf- und Machtbegriffe: Wer anderen politische Korrektheit, Moral oder Prüderie vorwerfen kann, bewegt sich auf einer Metaebene, die es erlaubt, die vorgebrachten Argumente zu ignorieren und als etwas Sekundäres zu bezeichnen: »Eigentlich geht es dir nur darum,  korrekt/moralisch überlegen/prüde zu sein, deshalb argumentierst du so.«

Nun, mein Ärger hat sich gelegt und ich möchte etwas genauer darüber nachdenken, was Prüderie eigentlich meint. Hier einige Ansatzpunkte:

  1. Askese: Prüde ist, wer die eigenen sexuellen Bedürfnisse nicht wahrnimmt, nicht ausdrückt oder nicht auslebt, weil er oder sie sich diese nicht zugestehen will. 
  2. Moral/Anstand: Der Ausdruck und das Ausleben von Sexualität wird als unanständig und oder unmoralisch markiert und so tabuisiert.
  3. Hemmungen/Unsicherheit: Menschen werden psychisch daran gehindert, ihren Körper und ihre Sexualität zu zeigen.
  4. Rücksichtnahme: Menschen halten sich in sexueller oder körperlicher Hinsicht an Normen, um andere nicht zu belästigen.

Diese vier Aspekte sind oft miteinander verbunden, wenn von Prüderie der Rede ist.

Sitzender nackter Mann. Rebrandt, Skizze, 1646.

Sitzender nackter Mann. Rebrandt, Skizze, 1646.

Entscheidend schient mir aber, dass die im Phänomen der Prüderie aufscheinenden Normen auch mit Machtstrukturen gekoppelt sind. Sexualität lässt sich, wie viele andere Bereiche des menschlichen Lebens, ohne Normen nicht denken: Es gibt immer Praktiken, Lebensweisen, Darstellungen und Erscheinungen, die allgemein akzeptiert werden, um solche, die radikal tabuisiert werden (und natürlich solche dazwischen).

Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Das Zeigen des eigenen, nackten Körpers in Zürich, 2013. Entspricht der Körper Normvorstellungen, ist es denkbar, ihn z.B. in Badeanstalten zu zeigen, so lange Po, Vulva, Penis und weibliche Brüste verhüllt sind. Das gilt auch schon für Säuglinge, wobei die Brust von Mädchen erst im Kindergartenalter verhüllt werden soll, oft aber schon früher bedeckt gehalten wird. In nicht gemischt-geschlechtlichen Garderoben, Duschen und Saunen ist es möglich, gänzlich unbekleidet zu sein, so lange niemand von außen reinsehen kann.

Das ist die Norm. Radikal tabuisiert ist es nun zum Beispiel, sich Kindern nackt zu präsentieren; sanktioniert wird z.B. das Zeigen von nicht der Norm entsprechenden Körperteilen (z.B. mit bauchfreien Oberteilen, Leggins, Schambehaarung, Gesichtsbehaarung), besonders bei Frauen.

Schönheitswettbewerb: Beine; Kalifornien 1948

Schönheitswettbewerb: Beine; Kalifornien 1948

Dass es Normen gibt, erstaunt niemanden. Normen ändern sich, in den 80er-Jahren sonnten Frauen sich oft oben ohne, Kinder badeten nackt. Kann man damit sagen, die oben geäußerte These sei langweilig, weil sich Menschen immer an Normen ausrichten und sie beachten? Wenn Prüderie die Orientierung an akzeptierten Mustern meint, dann schon.

Aber wahrscheinlich steckt noch mehr dahinter, z.B.

  • die Frage, ob Normen denkbar sind, die den Bedürfnissen der Menschen besser entsprechen (die dann als weniger »prüde« bezeichnet werden). 
  • die Sehnsucht nach einer vergangenen Zeit, in der Sexualität einfacher war (was wahrscheinlich gar nicht stimmt).
  • der Widerspruch zwischen der von der Werbung benutzen Vorstellung, Sexualität und permanente Lust seien Bedingungen für ein glückliches Leben, es sei möglich, unsere intimsten Bedürfnisse zu befriedigen – und der Realität.
  • der individuelle Widerspruch zwischen dem Anspruch, keine Hemmungen und Unsicherheiten zu kennen und Moral nicht zu benötigen – und der Realität.
  • das Problem der Rücksichtnahme, also die Erkenntnis, dass die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse nicht auf Kosten anderer gehen darf; dass andere im eigenen Begehren zwar als Objekte erscheinen mögen, aber nicht zu Objekten gemacht werden dürfen, wenn man selber nicht auch objektifiziert werden möchten.
  • die Kritik an der Gesellschaft und der Jugend, die immer auch zeigt, dass man selber anders ist, lockerer, sicherer, gelöst von Normen und Konventionen.

Für weitere Interpretationen gibt es Raum in den Kommentaren, ich freue mich.

 

Der ideale und der reale Onlinejournalismus – eine Bemerkung zur Imhof-Replik von Hansi Voigt

Der Chefredaktor von 20 Minuten Online, Hansi Voigt, reagiert wie sein Pendant bei Newsnetz, Peter Wälty, auf die Studie von Kurt Imhof zur Qualität der Medien (hier habe ich schon über die unsachliche Kritik daran geschrieben). Der Grund, warum sich die beiden Online-Chefs von Tamedia so heftig äußern: Imhof hatte geschrieben, »Internet-Nachrichten-Anbieter [hätten] erstmals an Abdeckungsquote eingebüsst«. Also konkret: Die von den beiden Chefs betreuten Plattformen würden weniger Leute erreichen als früher.

Konkret geht es um folgenden, weiter reichenden Zusammenhang (jede Ziffer und jeder Buchstabe bezeichnet eine Behauptung, die zu belegen wäre):

  1. Online- und Gratismedien führen zu einem Schwund bei den Bezahlzeitungen.
  2. Online- und Gratismedien sind nicht in der Lage, die von ihnen erzeugte Lücke zu füllen, denn
    a) ihre Inhalte sind von geringerer Qualität
    b) sie erwirtschaften nicht genug Geld, um genügend und genug gut ausgebildete JournalistInnen zu beschäftigen
    c) sie erreichen nicht gleich viele Leser, wie den traditionellen Medien verloren gehen.
  3. Die Menschen in der Schweiz sind weniger gut informiert über politische, kulturelle und wirtschaftliche Zusammenhänge.
  4. Deshalb sind sie weniger gut in der Lage, politisch zu partizipieren.

Diesen Zusammenhang bestreitet nun Voigt – in der AZ und auf 20Minuten online und auf Newsnetz – aus verschiedenen Gründen. Es scheint einen Fehler bei Imhof zu geben, der zu Verwirrung geführt hat, zudem geht die Studie des FÖG offenbar davon aus, dass die Zugriffe, die über Google erfolgen, nichts mit der Plattform selbst zu tun haben, sondern nur mit den entsprechenden Suchbegriffen.

Ich will hier nicht weiter auf diese Zusammenhänge eingehen, für die die Datenlage äußerst schwierig einzuschätzen ist – außer für die Online-Plattformen selbst. Die argumentieren denn auch mit dieser Grafik aus Google-Analytics:

Wollte Newsnetz oder 20 Minuten Online Imhof tatsächlich widerlegen, könnten diese Zahlen doch auch mit entsprechenden Werten publiziert werden, so dass erkennbar ist, wie viele Zugriffe die Marke selbst betreffen etc. Kurz: Auf ein quantitatives Argument sollte man quantitativ antworten oder aber festhalten, weshalb ein quantitativer Ansatz falsch ist.

Ich kann nachvollziehen, wie ärgerlich es für eine erfolgreiche Plattform ist, wenn sie an falschen Zahlen gemessen wird. Die Reaktion ist aber diesbezüglich nicht nur wenig professionell, sondern entwickelt ein Konzept von Online-Journalismus, das in der Schweiz nur in Ausnahmefällen so anzutreffen ist. Voigt schreibt:

Ich bin überzeugt, dass nicht nur die Medien, sondern auch die Leser professioneller geworden sind. Sie werden zunehmend zum Mitgestalter und zum Komplizen des Journalisten, geben Inputs und übernehmen aufgrund ihrer Empfehlungen einen Teil des Vertriebs und steigern so auch den Qualitätsanspruch. Gutes wird wesentlich häufiger auf Facebook gepostet als Durchschnittliches!

Journalisten der Moderne predigen deshalb nicht mehr von der Kanzel herab, sie stossen Diskussionen an, moderieren und nehmen Inputs der Leser auf – mündige User, die gleichzeitig eine Kontrollfunktion ausüben.

Für bezeichnend halte ich hier das Ausrufezeichen. Voigt untersucht diesen Zusammenhang nicht, er belegt ihn nicht – sondern er behauptet ihn einfach mal. Und dann ein Ausrufezeichen. So argumentiert er aus mit seinen persönlichen Überzeugungen oder mit der Floskel »Hand aufs Herz«. Was so behauptet wird, ist die Vision eines idealen Journalismus, der mit mündigen Lesenden interagiert, welche die Qualität beurteilen und dadurch nur Hochwertiges weiterreichen, so dass ein Wettbewerb stattfindet, dessen einziges Kriterium die Qualität ist.

Dann also mal direkt gefragt: Welche Artikel von 20Minuten werden denn auf Facebook am häufigsten geteilt? Worauf klicken die mündigen User denn besonders häufig? Wie viele JournalistInnen lesen denn die Kommentare unter ihren Artikeln und diskutieren dort mit? Wie oft geht ein hochwertiger Artikel auf einen Input aus der Leserschaft zurück?

Onlinejournalismus ist nicht des Teufels. Und Imhof denkt das auch nicht. Aber er kann sich nicht der Qualitätsdiskussion entziehen, indem er darauf verweist, was er sein könnte. Die beiden Online-Chefs vermeiden es tunlichst, Qualitätskriterien festzulegen. So schreibt Voigt:

Wer wie ich aus dem Aargau stammt, erinnert sich mit Grauen an die «Qualitäten» der damals dominierenden Regionalpresse, deren Produkte nie den Informationsgehalt oder gesellschaftlichen Diskurs einer «Simpsons»-Episode erreichte. Wer die AZ indes heute anschaut, kann feststellen, dass sie sich zu einem hervorragenden Blatt gemausert hat. Eine Zeitung wie in den 80er-Jahren liesse sich heute kein Mensch mehr bieten.

Tatsächlich gab es im Aargau in den 80er-Jahren eine Medienkonkurrenz (alleine in Baden gab es zwei Tageszeitungen, eine weitere in Brugg und eine in Aarau). Die Qualität dieser Zeitungen könnte man nun beurteilen, wenn man Kriterien hätte. »Informationsgehalt oder gesellschaftlicher Diskurs einer »Simpsons«-Episode« ist definitiv kein Kriterium (kann man einen »gesellschaftlichen Diskurs« haben?).

Fazit: Wer Imhof und den FÖG kritisieren will, soll doch bitte über das sprechen, worum es geht: Über die Qualität von Medien. Und dann einen Vorschlag machen, wie sich diese Qualität messen lässt und das auch gleich tun. Mit fundierten Zahlen. Alles andere lässt den Verdacht aufkommen, da sei jemand an einer empfindlichen Stelle getroffen worden.

Update 16. Oktober: Der FÖG reagiert selbst und sachlich auf die Kritik durch Voigt. 

Wie man auf Kritik nicht reagieren sollte – Kurt Imhofs Kritik an der Medienqualität

Rainer Stadler schreibt in der NZZ rückblickend: 

Als vor einem Jahr das Forscherteam um den Zürcher Soziologen Kurt Imhof eine Bestandsaufnahme der Schweizer Medien publizierte, provozierte es vor allem in der Branche selber etlichen Widerspruch und Widerstand. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Analyse zu ziemlich kritischen Resultaten kam.

Genau der gleiche Mechanismus spielt diese Tage, nach der Publikation des Jahrbuchs zur Qualität der Schweizer Medien durch den Forschungsbereich für Öffentlichkeit und Gesellschaft (Fög) der Universität Zürich.

Zuerst kurz zusammengefasst die Kritikpunkte der Forschenden um Imhof:

  • weiche Themen erhalten zunehmend mehr Gewicht (2010 hat z.B. die Fussball WM am meisten Platz eingenommen, vor gesellschaftlich und politisch relevanten Themen)
  • d.h. Medien unterhalten stärker und informieren weniger
  • Berichte werden »episodischer«, Hintergrundberichte sind sehr selten und nur in wenigen Medien zu finden
  • Gratismedien verstärken diese Tendenzen, nachhaltige Berichterstattung können nur noch gebührenfinanzierte Medien leisten
  • viele Medien gehen mit Agenturmeldungen und PR-Material unkritisch um.

Wer sich nun ernsthaft mit der Schweizer Medienlandschaft auseinandersetzt, kann sich diesem Befund nicht verschließen. Und die Gefahr, die im Jahrbuch beschrieben wird, besteht tatsächlich: Es ist wohl nicht mehr allen Abstimmungs- und Wahlberechtigten möglich, sich in einem Mass zu informieren, das ihnen eine sachliche und rationale Entscheidungsfindung erlaubt.

Nun gibt es in Bezug auf Kritik eine Methode, die einen stark erscheinen lässt: Wenn man die Kritik ernst nimmt. Wer Kritik reflexartig abweist, bestätigt sie implizit immer.

Das passiert durch eine Reihe von Medienschaffenden auf Twitter – und durch Newsnetz-Chef Peter Wälty auf Newsnetz. Er hält inhaltliche Fehler fest, welche das Team gemacht hat, wirft den Forschenden vor, sie nutzten die Methoden des Boulevard und weist deshalb die ganze Studie in toto zurück:

Die Fehler, die jedem Sachkundigen auffallen müssen, stellen die Glaubwürdigkeit der gesamten Studie infrage.

Diese Fehler betreffen notabene nur die Plattform Newsnetz – insbesondere die Frage ihrer Finanzierung, ihrer Profitabilität und ihrer Nutzungsstatistiken. Die Fehler betreffen keinen der oben genannten Kritikpunkte – dennoch werden sie einfach pauschal ignoriert. Reflexartig schließen sich dieser Kritik auf Twitter eine Reihe namhafter Medienschaffenden an:

https://twitter.com/#!/ugly_egli/status/122602696225193984

https://twitter.com/#!/RolandWittmann/status/122039859970981888

https://twitter.com/#!/swissbrotz/status/122554474421170176

https://twitter.com/#!/mbinswanger/status/122589940998619136

Seriöser wäre es, die Befunde der Studie im eigenen Schaffen zu überprüfen. Rainer Stadlers Kommentar zu den Vertiefungsstudien zum Einfluss der Agenturmeldungen und von PR ist dafür vorbildlich.

Auch auf Twitter gibt es kritischere Stimmen von Medienjournalisten:

https://twitter.com/#!/medienspiegler/status/122607712918962176

https://twitter.com/#!/christof_moser/status/122617982982696960

https://twitter.com/#!/christof_moser/status/122612624969056256

Update, 8. Oktober abends:

Imhof und sein Team reagieren auf die Kritik und halten ihre Sicht der Sachlage fest:
http://jahrbuch.foeg.uzh.ch/Seiten/default.aspx
http://www.medienspiegel.ch/archives/002948.html

Falsche Anreize im Journalismus: Clicks und Quotes

Die Debatte über die Qualität in der Schweizer Medien, welche durch die Forschergruppe um Kurt Imhof in Gang gesetzt worden ist (siehe hier und hier), konnte schon als abgeflaut bezeichnet werden (entweder hat man bei den Medien die Studie von Imhof ignoriert oder sie unsachlich kritisiert) – und nun lassen sie Peer Teuwsen und Ralph Pöhner wieder aufflammen: In der Zeit zeigen Sie auf, wie so genannte »Geschichten« entstehen:

  1. Die Sonntagszeitungen suchen auf Biegen und Brechen eine Schlagzeile – und erfinden sie, wenn es nicht anders geht.
  2. Die Online-Portale und auch die Tageszeitungen greifen diese Schlagzeilen unkritisch auf – und so
  3. Wird in den Schweizer Medien tagelang über »Geschichten« gesprochen, die weder mit der Wahrheit noch mit gesellschaftlich wichtigen Debatten etwas zu tun haben.

(Als Pointe übernimmt der Tages-Anzeiger/Newsnetz selbst diesen Text von der Zeit…)

Wo liegt das Problem? Es sind falsche Anreize. Welche Anreize gibt es für journalistische Arbeit?

  • Geld. Artikel, welche LeserInnen so ansprechen, das Marketingmenschen das Gefühl haben, damit lasse sich effiziente Werbung verbinden, sind für eine Zeitung wichtig. Dabei wird wie bei dieser Max-Küng-Geschichte oft vergessen, dass es eigentlich journalistische Regeln gäbe, die gerade verlangen, dass journalistische Inhalte sich nicht an der Werbung ausrichten.
  • Clicks. Damit verbunden ist die online-Werbung – die von den Clicks auf einzelne Seiten und oder Werbebanner abhängig sind. Clicks lassen sich in Real-Time messen und führen dazu, dass man Geschichten verfasst, die ins Muster passen (z.B. über iPhones) und so mehr Einnahmen generieren. (Es führt auch dazu, dass man bei deutschen Medien, in denen längere Beiträge erscheinen, diese Beiträge immer auf drei Seiten verteilt lesen muss – also drei Clicks generiert.)
  • Aufmerksamkeit. Verlinkungen und Verweise aus anderen Medien auf Artikel drücken Wertschätzung für journalistische Inhalte aus (Teuwsen spricht davon, dass »Journalisten einsame Menschen« sind).

Wie könnte man Anreize so schaffen, dass die grundsätzliche Aufgabe von Medien (nämlich Aufklärungsarbeit zu leisten, auf deren Basis Menschen informierte Entscheidungen in ihrem Leben fällen können) besser erfüllt werden könnte?

Es ist etwas müssig, die Verantwortung von Verlegern zu betonen, wenn man gerade beobachten kann, wie möglicherweise ein rechts-nationales Medienkonglomerat in der Nordwestschweiz entsteht, wie Thom Nagy und Fred David skizzieren – aber Verleger könnten die richtigen Anreize betonen.

Eine andere Möglichkeiten ist die Verschiebung von Medien ins Netz. Dort wäre es dann möglich, dass Konsumenten journalistische Inhalte nach dem Lesen bezahlten – anstatt die Katze im Sack oder das Interview hinter der Schlagzeile zu kaufen… Einen Artikel zu schreiben, den jemand nach dem Lesen für wertvoll hält: Das wäre wohl schon ein Anreiz. (Siehe Marcel Weiß‘ hervorragenden Post über »historische Unfälle« und Flattr.)

Das sda-Problem und die Qualität der Medien

Urs Paul Engeler versteht entweder von den politischen Abläufen in der Schweiz wenig – oder tut zumindest journalistisch so. Er ist das beste Beispiel für einen Journalist, der sich willig einer Ideologie unterordnet, um letztlich nicht Texte zu verfassen, welche Probleme reflektieren und analysieren, sondern eine Perspektive transportieren, welche gerade verhindert, dass die Probleme in den Blick genommen werden können.

Worum geht es?

Seit Beginn dieses Jahres gibt es nur noch eine Nachrichtenagentur in der Schweiz, die sda. Aus wirtschaftlichen Überlegungen hat sie ihre Konkurrenz aufgekauft – und so ausgeschaltet. Diese Vorgänge wurden kritisch durchleuchtet und analysiert, insbesondere im Medienmagazin Klartext. Niemand, der etwas von Medien versteht, bestreitet, dass eine Situation mit mehreren Nachrichtenagenturen besser ist als eine Situation mit einer.

Urs Paul Engeler will nun gleich zwei Dinge erreichen:

  1. Er versucht einen Zusammenhang zu erfinden, in dem die Monopolstellung der sda im Kontext einer linken Verschwörung stehen könnte.
  2. Könnte die Monopolstellung der sda auch noch etwas mit Kurt Imhof (»altlink«) zu tun haben, der sich kritisch über die Qualität der Schweizer Medien geäußert hat.

Beides gelingt ihm nicht. Seine Methoden sind denn auch denkbar primitiv: Auf die Person spielen. Imhof und de Weck. Und dann noch ein bisschen von dem, was alle wissen: Medien, SF, Tagi, you name it, nur nicht die Weltwoche: Allesamt links.

Urs Paul Engeler schlägt selbst als Qualitätskriterien für Medien »Debatte und Wettbewerb« vor, wirft Imhof mangelnde Kompetenz sowie einen politischen Bias vor: Die Erwähnung der Minarett-Initiative allein habe für den Vorwurf mangelnder Qualität gereicht. Neben der ironischen Pointe, dass gerade der Wettbewerb dazu geführt hat, dass die sda als Monopolistin dasteht (was würde denn eigentlich Herr Engeler zur Lösung des Problems vorschlagen?), verfehlt er so völlig, was Imhofs Studie beabsichtigt oder geleistet hat. (Da Weltwoche-LeserInnen Fakten weniger bedeuten als stramme bürgerliche Parolen, mag ihm das seine Leserschaft verzeihen.)

Hier sei doch noch kurz zitiert, wie denn das Jahrbuch von Imhof die Minarett-Initiative einbezieht:

Die Qualität öffentlicher Kommunikation bemisst sich hinsichtlich ihrer Forumsfunktionan der Meinungsvielfalt, d.h. der Vielfalt und Relevanz der Akteure und Argumente, die zu dieser Vorlage zur Sprache kommen, an der Begründung und wechselseitigen Berücksichtigung dieser Argumente und an der Vermittlung von Hintergrundinformationen.

Hinsichtlich der Integrationsfunktion öffentlicher Kommunikation bemisst sich die Qualität medienvermittelter Kommunikation an der Art und Weise, wie gesellschaftliche Normen und Werte sowie die Fragen der Zugehörigkeit reflektiert und begründet und damit Vereinseitigungen verhindert werden. Problematisch sind im Fall der Minarettinitiative vor allem Pauschalisierungen in der Wahrnehmung muslimischer Akteure.

Die Journalisten schlagen zurück – Imhof und die Qualität der Medien

Kaum wurden erste Ergebnisse von Kurt Imhofs Untersuchung zur Qualität der Schweizer Medien bekannt, werden seine Befunde zurückgewiesen. Zwei Beispiele seien hier kurz kommentiert:

  1. Peter Rothenbühler.
    Der Mann, der angibt, den »People-Journalismus« in der Schweiz eingeführt zu haben (via @patsch), führt in der Sonntagszeitung im Wesentlichen vier Argumente an, weshalb die Ergebnisse der Studie getrost ignoriert werden können:

    • die Studie entspricht Kurt Imhofs Meinung und ist ergo nicht wissenschaftlicher, sondern persönlicher Natur
    • Gratiszeitung lassen Menschen lesen, die ohne sie nicht lesen würden
    • die Qualität der Medien wurde schon seit jeher bemängelt
    • die Qualität der Medien ist großartig.

    Abgesehen davon, dass die Studie von Imhof als kulturpessimistisch dargestellt wird und Kulturpessimismus stets eine antiquierte Position darstellt, weil man Kultur als Ganzes nur aus einer anderen (d.h. älteren) Haltung kritisieren kann – sind Rothenbühlers Argumente von einer fast brisanten Ignoranz geprägt.

    Imhofs Studie definiert Qualität und untersucht die Schweizer Medienlandschaft auf diese Qualität hin. Nun kann man entweder sagen, seine Qualitätskriterien (Universalität, Ausgewogenheit, Objektivität und Relevanz) seine nicht die richtigen, oder aber seine Untersuchung sei nicht korrekt verlaufen. Einfach das Gegenteil zu behaupten ist keine Option. Auch nicht für den Erfinder des People-Journalismus.

  2. Thom Nagy.
    Dem 20Minuten-Journalisten behagen Imhofs Ergebnisse genau so wenig wie Rothenbühler. Er versucht, 20Minuten gegen die Kritik von Imhof zu verteidigen. Auch seine Argumente seinen kurz zusammengefasst:

    • die »Gratiskultur« sei ein Problem des Internets, nicht der Gratiszeitungen
    • Gratiszeitungen würden sehr wohl nachhaltige und längerfristige Hintergrundinformationen liefern, wie dieses »Dossier« und »Google« zeigen sollen
    • Gratiszeitungen informierten sehr wohl Menschen – und zwar neu auch solche, die keiner »(Informations-)elite« angehörten
    • Online-Medien schreiben, was Menschen interessiert
    • auch herkömmliche Qualitätsprintmedien wie der Tages-Anzeiger, die BaZ oder die NZZ (die Nagy selber nicht liest) würden Schwächen aufweisen in Bezug auf Imhofs Qualitätskriterien
    • »Es geht um den Informationsgehalt des Gesamtsystems Internet«, nicht um eine einzelne Seite.

    Der hier spannende Punkt ist die Veränderung durch die Digitalisierung. Ich gebe Nagy recht – digitale Inhalte erlauben oft eine umfassende, nachhaltige und multiperspektivische Information.
    Aber das reicht nicht, um 20Minuten zu verteidigen, was seine Qualität anbelangt. Gerade wenn es darum geht, Menschen zu informieren, die keiner Elite angehören, kann man nicht auf das »Gesamtsystem« Internet vertrauen – und auch nicht auf die Interessen dieser Leute. »Interessen« können auch durch mediale Arbeit konstruiert oder zumindest gefördert werden. Und wenn sich Menschen für das neue iPhone oder die Brustbehaarung eines Mister Schweiz »interessieren«, dann darf man auch noch fragen, ob ein diesbezüglicher Artikel den qualitativen Ansprüchen eines solchen Interesses genügt oder nicht.
    Zudem: Das von Nagy verlinkte »Dossier« und der Hinweis auf Google zeigt noch viel deutlicher, weshalb Qualitätsjournalismus für eine demokratische Meinungsbildung unabdingbar ist: In diesem Dossier gibt es keine eigene Recherche von 20Minuten. Alles ist abgeschrieben. Der Leser oder die Leserin sind nicht in der Lage, sich über die Zuverlässigkeit der Quellen ein Bild zu machen. Das Dossier entsteht aus der Tagesaktualität – es enthält eben keine Hintergrundartikel und nichts Nachhaltiges.
    Wenn wir neben unseren Medien noch Google brauchen – dann können wir auch gleich ganz auf Google umstellen…

Die »Gratiskultur« – erste Resultate von Kurt Imhofs Forschergruppe

Kurt Imhof hat Mittel gesucht, um mit einer Forschergruppe die Schweizer Medienlandschaft unter die Lupe zu nehmen. Er kommt zu folgenden Befunden:
  • In allen Mediengattungen wächst das Angebot an Klatsch bzw. an Softnews, welche die klassischen publizistischen Kernthemen Politik, Wirtschaft und Kultur zurückdrängen.
  • Die Nachhaltigkeit der Berichterstattung lässt nach. Episodische, auf Personen, Konflikte und Katastrophen zugespitzte Informationen nehmen zu.
  • Obwohl die Welt zusammenwächst, schotten sich die Medien ab, indem sie die Auslandberichterstattung stark abbauten.
  • Die Wirtschaftsinformation bleibt mangelhaft.
  • Der Erfolg der Gratiszeitungen und die Gratisangebote im Internet senkten unter den Konsumenten das Bewusstsein dafür, dass Informationsqualität etwas kostet.
  • Die Einbruch bei den Werbeeinnahmen erschwert die Finanzierung der redaktionellen Leistungen.
  • Die Bedeutung derjenigen Medientitel, die wenig zur Informationsqualität beitragen, wird weiter wachsen.
  • Der recherchierende, einordnende Journalismus gerät weiter unter Druck.
  • Auch die Presse orientiert sich vermehrt an den Unterhaltungsbedürfnissen der Medienkonsumenten.

Bezeichnenderweise wurde diese wissenschaftliche Untersuchung von rechter Seite schon torpediert, bevor sie Resultate vorgelegt hat. Dafür gibt es gute Gründe: Rechtspopulistische Politik profitiert davon, dass Medien episodisch, isoliert und billig arbeiten – da ihr langfristiges Ziel gerade die Gefährdung des »Funktionieren der Demokratie« (Imhof) ist.

Die Ursachen liegen für die Forschergruppe in der »Gratiskultur« – sprich in der Tatsache, dass in einem traditionellen Modell die Werbung die Redaktionen finanziert hat und die AbonnentInnen oder KäuferInnen einer Zeitung lediglich für die Druck- und Vertriebskosten aufkommen mussten. Da nun der Werbemarkt eingebrochen ist, reicht das Geld nicht mehr für die Finanzierung von qualitativ hoch stehend arbeitenden Redaktionen.

Eine Konsequenz wäre die der NZZ:

«Wir müssen für hochwertige Inhalte Geld verlangen», sagt Peter Hogenkamp; er ist neuer Leiter Digitale Medien beim Verlagshaus. «Sonst können wir künftig die Redaktionen nicht finanzieren.»

Hogenkamp will also die LeserInnen an den redaktionellen Kosten beteiligen – sprich: Man müsste als LeserIn für das gleiche wie früher neu mehr bezahlen, weil eine andere Einnahmequelle versiegte.

Ich überlege schon seit längerem, ob es einen vergleichbaren Fall gibt, in dem KonsumentInnen bereit waren, für ein Produkt mehr zu bezahlen, weil jemand anderes es nicht mehr im gleichen Ausmass finanziert hat.

Andererseits kann man auch einen anderen Blickwinkel wählen: Die digitale KonsumentIn finanziert zwar »Druck« und Vertrieb (indem sie ein Endgerät kauft und den Datentransfer zumindest teilweise bezahlt), könnte aber gerade gleich viel wie bisher bezahlen – weil er/sie ja auch gleich viel erhält auf dem Netz.

Die Kritik am Vorgehen der NZZ wurde von Marcel Weiss auf Netzwertig.com schon detailliert formuliert. Sie lässt offen, welche Alternativen bestehen. M.E. sind es nur zwei:

  1. Der Staat ermöglicht eine funktionierende (und die Demokratie ermöglichende) Medienlandschaft, indem er beispielsweise mit Billag-Gebühren (die als umfassende »Medien-Steuer« erhoben würden«) eine nachhaltig operierende, politisch neutrale Nachrichtenagentur aufbaut, die starke Wirtschafts- und Auslandredaktionen hat. Diese Agentur würde Tageszeitungen, Onlineportale und audiovisuelle Medien gleichermassen und gratis bedienen. (Die Unterstützung für das Schweizer Fernsehen viele weg – diese Unterstützung mutet in Zeiten von Medienkonvergenz ohnehin anachronistisch an.)
  2. Der Online-Werbemarkt legt zu und ermöglicht dank neuer Modelle eine ähnliche Finanzierung wie sie bisher möglich war. Wenn Werbung bisher meine Zeitung finanziert hat – warum sollte sie es in Zukunft nicht mehr tun?
    (Hier gibt es dann wohl das Problem, dass Internetwerbung ihre Wirksamkeit zu gut messen kann – und so günstiger verkauft werden muss als Printwerbung.)

Zur Krise der Medien – Ein Beispiel: Das Magazin

Die WoZ dieser Woche ist als »WoZ Spezial« erschienen – und behandelt die Krise der Medien: Eine Krise, die nicht nur durch den Einbruch am Werbemarkt entstanden ist, sondern aus mehreren Gründen zu einer Erosion journalistischer Standards und zu einer Preisgabe der Wertschätzung und des traditionellen Selbstverständnisses von Journalisten, wie Kurt Imhof im Interview mit der NZZ festgehalten hat. In einer Umfrage hat er ermittelt, dass gerade den News-JournalistInnen von Gratiszeitungen und Lokalradios klassische journalistische Werte fehlten, sie sich andererseits aber mit ihrem Beruf identifizierten, und so, wenn sie zu »seriöseren« Medien wechseln, dieser Kultur mitnehmen. Imhof bilanziert:

Das braucht es: Zunächst die Erinnerung an die uralte Einsicht der liberalen Aufklärungsbewegung, dass die Qualität der öffentlichen Kommunikation die Qualität der Demokratie bedingtes braucht auch die ebenso alte Einsicht, dass diese Aufgabe weder ein blosses Geschäft noch eine Aufgabe des Staats sein kann. Daraus folgt auf der strukturellen Seite die Reduktion der Abhängigkeit des Qualitätsjournalismus von Werbeeinnahmen, und zwar durch öffentliche Mittel und Stiftungsmittel sowie durch eine Steigerung der Verkaufspreise, durch den Abbau der Selbstkannibalisierung des Journalismus durch Gratismedien und durch die Lösung der indirekten Bindung der Einnahmen des öffentlichen Rundfunks an Einschaltquoten. Auf der kulturellen Seite ist ein gesteigertes Qualitätsbewusstsein für Journalismus aufseiten der Macher wie des Publikums Voraussetzung wie Produkt der genannten strukturellen Massnahmen.
Zurück zur WoZ. In der Analyse der sich immer mehr verschiebenden Schnittstelle PR – Journalismus bemerkt Susan Boos einleitend:
Der König hält sich Hofberichterstatter, der Diktator verfügt Zensur, und die Demokratie braucht kritischen, unabhängigen Journalismus, würde man meinen. Inzwischen ist aber vieles durcheinandergeraten wie zum Beispiel beim «Magazin» des «Tages-Anzeigers» vom 7. November. Auf dem Titelblatt sind lange Beine in Stilettos abgebildet, nur Beine, kein Kopf. Auf der nächsten Seite zwei dünne Frauen, viel Bein und Stilettos. Auf Seite drei kommt das eigentliche Titelblatt mit einem älteren Herrn in Trenchcoat, darunter das Zitat: «Auschwitz war für mich ein Gewinn.»

Das sitzt: «H&M»-Werbung verschränkt mit Auschwitz. Der ungarische Schriftsteller und Nobelpreisträger Imre Kértesz, der Auschwitz überlebt hat, muss gegen die mageren Models des Modehauses antreten – das lässt sich kaum toppen.

Doch wem fällt es noch auf?
Antwort: Mir ist das heute aufgefallen, und zwar erstens wieder auf der verdammten Titelseite (ich würde gerne eine andere Wortwahl vornehmen, aber es gelingt mir nicht: Wie kann Das Magazin die Titelseite verkaufen?):
Und zweitens beim Text von Daniel Binswanger. Zwar setzt er sich gewohnt kritisch-fundiert mit der Rolle der Schweizer Großbanken auseinander, nennt aber sowohl UBS als auch CS im Titel und siehe da – beim Stichwort »Lobbying-Offensive« platziert die CS doch auch gleich ein Inserat neben diesem Artikel. Die Frage, ob das Huhn (der Text) oder das Ei (die Inserentin) zuerst gewesen seien, drängt sich beängstigenderweise auf.
Es bleibt: Das werbefreie Internet (Kurzanleitung: Firefox installieren, AdBlockPlus installieren, Filterliste abonnieren, fertig) – bei dem zwar Artikel von Inserierenden eingekauft sein mögen – und die WoZ.
Noch ein P.S.: