Widersprüche der Schweizer Zweiklassengesellschaft

Auf dem Newsnetz-Politblog beschreibt Nina Merli heute, welche Auswirkungen die Konzeption einer Zweiklassengesellschaft mit privilegierten SchweizerInnen und AusländerInnen mit eingeschränkten Rechte hätte:

  • sie verhindere Integration, weil AusländerInnen permanent in Erinnerung gerufen werde, nicht dazuzugehören; Gäste zu sein
  • sie schafft zwei verschiedene Rechte, was bedeutet, dass nicht jede Tat für alle Menschen die gleichen Konsequenzen hat
  • sie fördert ein Machtgefälle, das die Gefahr mit sich bringt, ausgenutzt werden zu können.

In vielen Kommentaren zu diesem Blogpost wird die Konzeption der Zweiklassengesellschaft vehement verteidigt. Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass es hoch problematisch ist, wenn nationalkonservativ eingestellte SchweizerInnen mit dem Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit abgestempelt werden und ihre Argumente und Ansichten so auch entwertet werden. Ich halte das deshalb für problematisch, weil es zu einer Radikalisierung führt: Die Positionen werden umso starrer und heftiger vertreten, je uniformer und starrer die Kritik daran ist. Ich halte es für nötig, sie ernst zu nehmen und sachlich auf Widersprüche und Schwierigkeiten hinzuweisen. Dieser Post soll ein Beispiel dafür sein.

Ich zitiere zunächst einige Kommentare und fasse dann die Schlüsselargumente zusammen.

Ausländer müssen nicht integriert werden, die Integration muss jeder selber anstreben. […] Auf den Punkt gebracht, wer der Gesellschaft Schaden beifügt, keinen Nutzen bringt, soll einfach sein Köfferchen ohne Wenn und Aber packen müssen. Silvie Blake
In vielen Ländern würde nach einem Kiosk-Einbruch auch nicht eingebürgert. Dies ist ein gutes Gesetz.
Siehe auch Tagesscau vom 30.8.: Einbrüche, Gewalt und Drohungen sind in der Schweiz seit 2004 gestiegen. Werner Brupbacher
In der weltoffenen urbanen Schweiz sind Schweizer Kinder längst in der Minderheit … Sie Guter Sie Oder gehören Sie auch zu den lieben Linken, die Multikulti predigen um dann wenn ihre Kinderlein ins Schulalter kommen, den Wohnort in die dumpfe SVP-Hinterwäldler-Welt zu verlegen, damit ihre Kinderlein nicht in Ghettoschulen zur Minderheit gehören?! Werner Zimmermann
Mein Vater war ebenfalls aus Zürich und ging im Chreis Cheib in die Schule (dort wo man jetzt schweizer Kinder mit der Lupe suchen muss). Parallel mit der Ankunft der Ausländer südlich von Zagreb und Afrikanern hat auch die Dumpfbackendichte im Viertel stark zugenommen! Ich kann in meiner eigenen Stadt nicht mehr frei ausgehen, die Langstrasse ist ein Irrenhaus geworden. Roger
Mir geht das noch viel zu wenig weit. Ich fordere ein Einbürgerugnsmoratorium von so langer Dauer, bis keine Flüchtlingstouristen mehr in die Schweiz kommen und der Schweiz wieder 5,4 Mio. Menschen lebten wie 1960. Mit 8 Mio Menschen ist die Schweiz nämlich hoffnungslos überbevölkert. Die CH-Landwirtschaft kann gerade noch 2,5 Mio Menschen ernähren. Und wie geht es weiter? Roland K. Moser

Grundsätzlich sehe ich folgende Feststellungen, Zusammenhänge und Forderungen:

  1. Die Einteilung von Menschen nach ihrer Herkunft ist richtig und legitim, weil SchweizerInnen grundsätzlich früher hier waren und zudem unter der Zuwanderung leiden.
  2. Die Zuwanderung basiert auf Freiwilligkeit, die Regeln für AusländerInnen müssen sich nicht an Prinzipien der Gerechtigkeit, Solidarität oder Menschlichkeit orientieren – weil niemand in die Schweiz kommen muss.
  3. Grundsätzlich muss die Situation von AusländerInnen in der Schweiz mit derjenigen von AusländerInnen in anderen Ländern verglichen werden, es muss eine Art Markt herrschen, bei dem der Preis in der Schweiz konkurrenzfähig ist.
  4. AusländerInnen müssen den SchweizerInnen etwas nützen (Menschen müssen generell anderen etwas nützen). Ihre Anwesenheit ist direkt an ihre Nützlichkeit zu koppeln.
  5. Integration ist ein falscher Begriff, im Wesentlichen geht es um Angleichung von AusländerInnen an die SchweizerInnen. Diese kann mit 2. problemlos gefordert werden.
  6. Zentrales Problem ist die Sicherheit, welche wegen der Zuwanderung abgenommen hat.
  7. Härtere Strafen und höhere Hürden bei der Einbürgerung haben einen positiven Effekt auf den Nutzen der AusländerInnen, ihren Willen sich anzugleichen und die Sicherheit.

Lassen wir den grundsätzlichen Einwand beiseite, dass wir hier von Menschen sprechen und es keinen Grund gibt, Menschen auf ihre Nützlichkeit zu reduzieren – und gehen akzeptieren wir diese Prämissen, so ergibt sich für mich folgender logische Widerspruch:

Es gibt keine Evidenz dafür, dass tiefere Einbürgerungsquoten, härtere Strafen oder weniger Integrationsbemühungen den Nutzen von AusländerInnen, ihre Anzahl oder die Sicherheit aller in der Schweiz lebenden Menschen verbessern könnten. Kurz gefasst: Die Massnahmen widersprechen den zu erreichenden Zielen fundamental.

Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, die ich nicht alle durchgehen müsste. Nur zwei Punkte:

  • Die Vorstellung, in die 60er-Jahre zurückkehren zu können und eine neue Anbauschlacht zu beginnen, mag romantische Aspekte haben – realitätsferner könnte man kaum denken. Die Schweizer Wirtschaft ist auf AusländerInnen angewiesen. Die einzige Massnahme, die ihre Zahl reduzieren würde, wäre der Verzicht auf Wirtschaftswachstum und wirtschaftlichen Wohlstand.
  • Härtere Strafen (auch Entzug der Möglichkeit, eingebürgert zu werden) schaffen nie mehr Sicherheit. Nie. Menschen werden nicht deshalb straffällig, weil die Strafen zu gering bemessen sind, sondern weil sie keine anderen Perspektiven in ihrem Leben haben.

Verbot von politischer Werbung – abschließende Gedanken

Auch auf meinen letzten Post, in dem ich kurz begründet habe, weshalb ich ein Verbot von politischer Werbung bedenkenswert finde, habe ich interessante Rückmeldungen erhalten, auf die ich kurz eingehen möchte.

1.

Zunächst: Die beiden Rückmeldungen haben mich davon überzeugt, dass so ein Verbot mindestens problematisch wäre, gerade weil es eine Reihe von Auslegungsfragen mit sich bringen könnte, welche einerseits dazu geeignet wären, die freie Meinungsäußerung zu tangieren, andererseits ein politisches Instrument zur Benachteiligung bestimmter politischer Interessen werden könnte.

2.

David schreibt:

Die Manipulierbarkeit der Menschen kann man nicht durch Werbeverbote bekämpfen, sondern nur durch Bildung. Auch widerspricht ein Werbeverbot hochgradig meinem Menschenbild. Man muss erwachsenen Menschen zutrauen, sich selber eine Meinung bilden zu können, und sie nicht bevormunden.

Ich kann dazu nur sagen: So denke ich auch. Und dann erinnere ich mich an all diese Plakate, mit denen der öffentliche Grund in der Schweiz wie in keinem anderen Land zugepflastert ist, an die Zuspitzungen, Verdrehungen, Verfälschungen, Suggestionen die auf diesen Plakaten verbreitet werde – und bin mir plötzlich nicht mehr sicher, ob ich wirklich erwachsenen Menschen zutrauen, dagegen immun zu sein. Wie viele Menschen sind in der Lage abzuschätzen, dass ein verurteilter Vergewaltiger nicht in der Schweiz eingebürgert werden kann? Wie viele können nachrechnen, ob die Steuergerechtigkeitsinitiative für sie eine Mehr- oder Minderbelastung bedeuten würde?

Und doch: All diese Probleme betreffen nicht nur Werbung, sondern jede Form von politischem Diskurs. Und Demokratie bedeutet, in die Urteilsfähigkeit aller Stimmberechtigten zu vertrauen.

3.

David fragt im gleichen Kommentar:

Dann definiere bitte mal, was hiervon du verbieten möchtest:

– Plakatwerbung auf öffentlichem Grund
– Plakatwerbung auf privaten Grund
– Zeitungsinserate
– Flyer in Briefkasten
– Flyer auf der Strasse
– Standaktionen
– Podiumsdiskussionen
– Demonstrationen mit Spruchbändern

und inhaltlich:
– Werbung mit Abstimmungsparolen
– Werbung für Kandidaten/Wahllisten
– Sensibilisierung (z.B. von Umweltschutzverbänden, Behindertenverbänden)
– Werbung für Anlässe (Demoaufrufe, Podiumsdiskussionen, …)

Und nun spiele alle möglichen Kombinationen von Form und Inhalt durch und sage mir, was erlaubt sein soll und was nicht.

Ich hätte das so formuliert: Es ist nicht erlaubt, politische Inhalte mit einem direkten oder indirekten Bezug auf Wahlen, Abstimmungen oder Parteien gegen Bezahlung zu publizieren oder zu verbreiten.

D.h. in Bezug auf die Beispiele: Flyer verteilen ist dann okay, wenn kein Geld fließt, sondern alle Beteiligten das aus Überzeugung machen; Werbung für Anlässe wäre okay, wenn sie nicht mit einer Partei oder einer Parole verbunden sind. Wie schon erwähnt: Mit so einem Verbot wäre viel Auslegungsarbeit verbunden.

4.

David schlägt als Alternative zum Werbeverbot eine staatliche Parteienfinanzierung vor (das hieße wohl, Parteien dürfen sich nur über einen staatlichen Beitrag finanzieren und keine weiteren Zuwendungen erhalten?). Dagegen ist nichts einzuwenden – mit dem letzten Absatz wollte ich sagen:

  1. Es gibt mehrere Methoden, um das unangenehme Problem zu lösen, das finanziell besser situierte Menschen/Unternehmungen politisch mehr Einfluss genießen als andere.
    a) Transparenz bei der Parteienfinanzierung.
    b) Beschränkungen bei der Parteienfinanzierung.
    c) Staatliche Finanzierung der Parteien
    d) fixe Werbepools (z.B. Plakatwände auf öffentlichem Grund und TV-Spots) werden Parteien bei Wahlen und Interessensgruppen bei Abstimmungen zugeteilt.
  2. Ein weiteres Problem ist die individuelle Ebene von MandatsträgerInnen. Lobbying kann nicht verboten werden – aber es ist eines demokratischen Staates unwürdig, dass ParlamentarierInnen finanziell direkt von Unternehmungen und Interessensgruppen abhängig sind.

Fazit

Ein Problem, das wohl eleganter gelöst werden könnte, als ich es vorschlage – aber ein drängendes Problem, welches die politische Landschaft der Schweiz stark beeinflusst und nachhaltig schädigt.

In eigener Sache

Ich habe meine Blogroll geupdatet und möchte hier auch noch auf die neu aufgenommenen Blogs hinweisen:

  • Nation of Swine
    Der Blog der beiden Journalisten Carlos Hanimann und Daniel Ryser – viel Musik, viele Interessen, Fussball und Fussballfans. Jeder Post eine Überraschung, jeder Post hat Qualität.
  • Journalistenschredder
    Ein lebendiger Blog, der eine breite Palette von Medien kritisch liest und immer wieder Diskussionen eröffnet.
  • Substanzielles aus Politik und Medien
    Der Titel sagt schon, um was es geht – ein offener Blog, der sich für Meinung anderer interessiert und sorgfältig Standpunkte darlegt.
  • wahrscheinlich
    Ich versteh den Titel etwas ironisch, als Kommentar, was da teils mit einem Augenzwinkern, teils mit bitterem Ernst gezeigt wird – oft was Kleines, oft was Überraschendes (z.B. dieses Video über die »Evolution der Empathie«).
  • Gesellschaft, Behinderung und die Invalidenversicherung
    Über ein medial sehr eingeengt behandeltes Thema, die IV und den gesellschaftlichen Umgang mit Behinderung, wird tiefgründig und intelligent berichtet. Immer lesenswert.
  • Antje Schrupps Blog
    Feministische Themen mit Tiefgang, Weitblick und absolut zeitgemäss dargelegt.
  • Zum Schluss noch ein Blog, das schon immer in meiner Blogroll war: Zeitgenossinnen
    Es geht immer mal wieder um Gender, um sozialen Zusammenhalt, um Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit – und dann wieder um Poetisches; manchmal aus der Sicht einer Migros-Kassiererin.

Und dann möchte ich noch auf zwei Kommentare hinweisen, die ich heute zu interessanten Artikeln hinterlassen habe: Hier und hier (Video sehr sehenswert…).

Heuchler und Zensur

Einer der größten Ignoranten und Faktenverzerrer im Blogbusiness ist Alexander Müller. In seiner Selbstbeschreibung meint er zwar:

Freie Meinungsäusserung und Dialog sind die Grundlage einer funktionierenden Demokratie.

In seinem Blog veröffentlicht er dann aber Kommentare nach Belieben nicht: Ein erstes Beispiel habe ich hier erwähnt, heute habe ich ihn in diesem wirren Post zum Thema Freidenker darauf hingewiesen, dass die These, wonach Freidenker sich alleine gegen das Christentum wendeten, nicht aber gegen andere Religionen, insbesondere gegen den Islam, völlig haltlos sei, wie man an Andreas‘ Kyriacous Post über den »Everybody Draw Muhammad Day« leicht ablesen kann. Was passiert: Der gute Herr Müller zieht vor, den Kommentar nicht zu veröffentlichen. (Ja, der Begriff »Heuchler« im Titel spielt darauf an.)

Während er in den Kommentaren regelmäßig als Lehrer, Historiker und Religionswissenschaftler auftritt, um seine Sicht auf die Welt mit Pseudoargumenten zu belegen, spielt sich bei Ugugu ein ganz anderes Drama ab: In diesem Post zur Migros und ihrem »Reputation Defender«, Herr Naef, rollt er eine auf dem Kult-Blog präsentierte Geschichte auf, wonach das Migros-Magazin einen Text über Marianne Weissberg auf Anweisung des Chefredaktors nicht gedruckt habe. Darauf entwickelt sich in den Kommentaren eine gleichermassen unterhaltsame wie dynamische Diskussion mit dem Blog-Kritiker Bobby California (nicht ganz klar, ob es sich dabei um ein Pseudonym handelt), die nichts für schwache Gemüter ist. Resultat: Auch Bobby darf keine Kommentare mehr bei Ugugu posten: Allerdings wird das nicht allzu schlecht begründet…

(Hier werden selbstverständlich alle Kommentare veröffentlicht, außer solchen, die immer mal wieder anzutreffen sind:

kAmUf1 ekeyiegqdegy, [url=http://uriuxswryxwm.com/]uriuxswryxwm[/url], [link=http://wlpaukcjevgv.com/]wlpaukcjevgv[/link],http://wjgkpwdkjhjn.com/

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