Wie man in der Schweiz eine hochwertige Fernsehserie drehen könnte

Ich muss vorausschicken: Was folgt, ist reine Gedankenspielerei. Obwohl die Billag in der Schweiz rund 1.3 Milliarden Franken an Gebühren eintreibt, gibt es weder die Mittel noch den Willen, hochwertiges Fernsehen zu produzieren, wenn man von wenigen Studiosendungen und oft eingekauften Sportübertragungen absieht. Dementsprechend ist es für alle in diesem Bereich tätigen (nehmen wir einmal Regiseurinnen und Schauspieler) nicht interessant, sich für hochwertige Fernsehproduktionen zu qualifizieren.

Dennoch sei die Frage erlaubt: Wie müsste den eine anspruchsvolle Serie aussehen, die in der Schweiz gedreht werden könnte?

Sie müsste, so finde ich, vom Konzept von The Wire ausgehen. The Wire ist eine Serie über die Auswirkungen des War on Drugs in Baltimore, Maryland. Im Mittelpunkt jeder Staffel steht eine Institution: Das Drogengeschäft in den Projects, der Hafen, die Politik, das Schulsystem, die Zeitung. Gezeigt werden nicht primär Interaktion von Figuren untereinander, sondern Interaktionen von Personen mit diesen Institutionen. David Simon, einer der Erfinder der Serie, sagte vor kurzem auf seinem Blog dazu:

To be clear:  I don’t think the Wire has all the right answers.  It may not even ask the right questions.  It is certainly not some flawless piece of narrative, and as many good arguments about real stuff can be made criticizing the drama as praising it.  But yes, the people who made the Wire did so to stir actual shit.  We thought some prolonged arguments about what kind of country we’ve built might be a good thing, and if such arguments and discussions ever happen, we will feel more vindicated in purpose than if someone makes an argument for why The Wire is the best show in years.  (“Buffy,” by the way, was the correct answer to that particular bracketfest.)

»to stir actual shit« – also wirklich etwas bewegen: Das müsste das Ziel einer hochwertigen Serie sein. (Zugegeben: Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten – Buffy und Twin Peaks haben sicher andere Stärken.) Meine Vorstellung wäre, dass die Serie Orte fixiert, an denen sich etwas bewegt. Plätze, an denen sich Entwicklungen ablesen lassen, wo Interaktionen passieren, die realistisch dargestellt werden können und doch überraschend sein können. Wo Fragen gestellt und Antworten erprobt werden können – politische, gesellschaftliche, menschliche Fragen: Ohne Politik zu machen, ZuschauerInnen zu beeinflussen.

Ich denke das einfach mal an: Gewählt werden müssten meiner Meinung nach Plätze in und um Zürich. Diese Agglomeration kann Fragen des Bevölkerungswachstums, der Mobilität, der Integration; von Formen des Zusammenlebens, der Familie, von Alten und Jungen, Zugezogenen und Eingesessenen; von Kriminalität, Verbrechen, Vergnügen und Geschäften, Luxus und Tourismus verdichtet zur Darstellung bringen. Nehmen wir als ein Beispiel den Schwamendingerplatz, genauer: Das kleine Migros-Restaurant. Die Interaktion der Angestellten mit den Kunden ist so vielfältig und kann symbolisch so stark aufgeladen werden, dass selbst eine realistische Form des Erzählens alle Möglichkeiten enthält, emotionale und intellektuelle Botschaften zu verpacken. Als zweites Beispiel können wir das Langstrassenquartier nehmen, das heutige Miteinander von Junkies, Prostituierten, ArbeiterInnen, »Secondos«, Touristen, hipper Ausgangsszene und neu zugezogenem Mittelstand bietet ebenfalls verdichtet die Möglichkeit, über die Zukunft der Schweiz, die Idee der Schweiz nachzudenken, ohne Langweiliges, Bekanntes und Offensichtliches erzählen zu müssen.

Wie man das erzählt, müsste man Profis überlassen – aber The Wire (oder besser sogar Treme) bietet auch hier klare Ansätze: Nehmen wir doch zum Beispiel Limmat 6, ein Streifenfahrzeug der Stadtpolizei Zürich, und an drei, vier Plätzen jeweils eine Gruppe von Menschen, die lose verbunden sind, aber auch andere Stadtzeile aufsuchen (Idee: verschiedene Generationen, verschiedene soziale Schichten). Seien wir zurückhaltend mit den klassischen Elementen des Melodrams (Beziehungsprobleme) und konzentrieren uns auf realistische Probleme, die Menschen in der Schweiz haben können: Z.B. eine Lehrstelle annehmen zu müssen, die man sich nicht gewünscht hat; eine Wohnung verlassen zu müssen, in der man ein Leben verbracht hat; die Familie aus einem anderen Land nicht in die Schweiz bringen zu können; viel arbeiten, ohne genau zu wissen, wofür; sich zwar vieles leisten können und sich trotz Befolgen aller Regeln im Kreis einer nicht enden wollenden Leere zu drehen… Und schauen wir, was passiert.

Hier stoppe ich mal. Vielleicht würde das einfach öde, oder man müsste das als Dokserie machen… Über weitere Ideen in den Kommentaren freue ich mich aber sehr!

Wie viel kostet Fernsehen? – Nein, die Billag verlangt nicht zu viel.

Für die vom Boulevard, der »Wutwoche« und den Rechtsrevolutionären inszenierte Kampagne gegen die Billag gilt, was auch für die Mobilität gilt:
Gerne denken wir über Produkte, die es scheinbar ohne unseren Kauf auch gibt, so, als könnten wir so viel dafür bezahlen, wie uns angemessen scheint. Und zusätzlich erwarten wir, dass wir dann darauf zurückgreifen können, wann wir wollen – und dann gerade für diesen Ausschnitt bezahlen können/müssen.
Die »Gebühren« sind einfach die Kosten des Fernsehens. Es kostet so viel, eine SVP-Schwingshow zu inszenieren. Und es kostet so viel, die Skirennen zu übertragen. Oder die Fussball-WM. Und am Montagabend »24« oder »Desperate Housewives« zu zeigen.
Wer jetzt großartig Aufrufe unterschreibt und sich auf Blick.ch in die Kommentarspalten einträgt, kann vielleicht schnell nachrechnen, wie viel das, was er oder sie an Radio und oder Fernsehen konsumiert, im PayTV und auf DVD kostet.

Das gesagt haben deklariere ich auch noch meine Motivation für diesen Post: Die Qualität der Medien in der Schweiz kann meines Erachtens nur dann gehalten werden, wenn es staatlich finanzierte Medieninhalte gibt. Ich finde, dass Unterhaltung nicht dazu gehören sollte; sondern nur Information – und ich finde auch, dass es nicht mehr zeitgemäss ist, nur Fernsehen und Radio zu subventionieren. Aber ich finde nicht, dass wir zu viel dafür bezahlen.

Gebühren und Abgaben – mal wieder zu SUISA und BILLAG

Heute gab es für mich in meiner Twitter-Timeline zwei Mal Anlass zu Gedanken über Gebühren. Denis Simonet, der Präsident der Piratenpartei, twitterte Folgendes:

http://twitter.com/#!/SciF0r/status/24081861894479872
Und mit der Frau Chliitierchnuebler hatte ich folgende Konversation:

Twitterkonversation zwischen @kohlenklau und @chliitierchnueb, 9. 1. 2010

In beiden Diskussion werden durch BILLAG und die SUISA erhobene Gebühren bzw. Abgaben als störend empfunden. Preise und Kosten werden immer als ein Tausch wahrgenommen: Für die Leistung X bezahle ich den Preis Y. Nun gibt es aber keine sichtbare Leistung, die mir SUISA und BILLAG verkaufen könnten, also gibt es für mich keinen Grund, den Preis dafür zu bezahlen. Und schon sind für mich die Gebühren »unnötig«:

Quelle: Abgabenterror.ch, 9. 1. 2010

Quelle: Abgabenterror.ch, 9. 1. 2010

Generell scheint es mir zwei Ebenen zu geben, die man unterscheiden muss:

  • der Grund weshalb eine Gebühr erhoben wird, also der Schutz der Urheberrechte der KünstlerInnen (SUISA) oder die Gebühr für öffentlich-rechtliche Medienprogramme (BILLAG)
  • der Modus, mit dem diese Gebühr erhoben und mit dem bestimmt wird, wer sie zu entrichten hat.

Über diese Gründe kann man diskutieren. Ich denke jedoch, dass gerade bei der SUISA die Tatsache, dass eine Gebühr erhoben wird, in der Schweiz eine vernünftige Lösung für Filesharing möglich ist (vernünftig meint hier, dass nicht massenhaft Leute kriminalisiert werden). Ähnliche Lösungen funktionieren beispielsweise auch für Kopierer – auch wenn ich ein Buch kopiere, dessen Verfasser/Herausgeber mir das Kopieren eines Buches nicht erlaubt (also die meisten Bücher), ist das kein Problem: Weil auf jeder Kopie eine Abgabe erhoben wird, welche Verfasser/Herausgeber für ihren Verlust kompensieren. Gleich ist es auch bei der Abgabe auf Leermedien. Störend dabei ist, wie im oben gezeigen Screenshot angemerkt, dass es sein kann, dass doppelte Gebühren erhoben werden: Lade ich die gekaufte CD auf meinen MP3-Spieler oder kopiere ich ein Dokument, das ich selber geschrieben habe – dann werden Gebühren erhoben, die nicht erhoben werden müssten. Um diese Effekte erfassen zu können, müsste man jedoch über detaillierte Statistiken verfügen. Ich behaupte einmal (bis ich eines Besseren belehrt werde): Dieser Effekt ist vernachläßigbar. Damit ist auch schon einiges über den Modus gesagt worden; ich bezweifle, dass es bessere Arten gibt, diese Gebühren einzutreiben. Die Alternative wäre die Kriminalisierung von Filesharing – und ich bezweifle, dass das das Ziel der Piraten sein könnte.

Der Grund, weshalb die BILLAG Gebühren erhebt, müsste differenzierte diskutiert werden. Meiner Meinung nach ist es nicht mehr zeitgemäß, nur für Radio und Fernsehen Gebühren zu erheben (also in diesen Märkten starke staatliche Player zu etablieren, die auch einen Unterhaltungsauftrag haben). Vielmehr müsste der Informationsauftrag gestärkt werden und zwar möglichst unabhängig von der Art der Medien, über die diese Informationen verbreitet werden. (Das ist nur mal eine Skizze, ich habe mich dazu schon oft geäußert.)

Nun noch ein Kommentar zur Art und Weise. In Bezug auf das Internet gilt bei der BILLAG folgende Regelung:Quelle: Billag.ch, 9. Januar 2010

Technisch mag das nicht mehr ganz aktuell sein: Ich kann die Programme von DRS und von SF in einem herkömmlichen Browser ohne das Installieren zusätzlicher Software und eine Registrierung sehen. Das heißt: Gebührenpflichtig sind alle, die das Internet nutzen oder ein Handy haben oder ein Radiogerät oder einen Fernseher oder ein Autoradio oder … Und zwar nicht unter der Bedingung, dass man diese Geräte auch für den Empfang bestimmter Programme nutzt. Und nun frage ich mich: Wer ist eigentlich nicht gebührenpflichtig? Konsequent wäre doch einfach, gar keine Erhebungen mehr zu machen und die Gebühren von allen Haushalten oder aber von allen SchweizerInnen einzufordern.

Die »Gratiskultur« – erste Resultate von Kurt Imhofs Forschergruppe

Kurt Imhof hat Mittel gesucht, um mit einer Forschergruppe die Schweizer Medienlandschaft unter die Lupe zu nehmen. Er kommt zu folgenden Befunden:
  • In allen Mediengattungen wächst das Angebot an Klatsch bzw. an Softnews, welche die klassischen publizistischen Kernthemen Politik, Wirtschaft und Kultur zurückdrängen.
  • Die Nachhaltigkeit der Berichterstattung lässt nach. Episodische, auf Personen, Konflikte und Katastrophen zugespitzte Informationen nehmen zu.
  • Obwohl die Welt zusammenwächst, schotten sich die Medien ab, indem sie die Auslandberichterstattung stark abbauten.
  • Die Wirtschaftsinformation bleibt mangelhaft.
  • Der Erfolg der Gratiszeitungen und die Gratisangebote im Internet senkten unter den Konsumenten das Bewusstsein dafür, dass Informationsqualität etwas kostet.
  • Die Einbruch bei den Werbeeinnahmen erschwert die Finanzierung der redaktionellen Leistungen.
  • Die Bedeutung derjenigen Medientitel, die wenig zur Informationsqualität beitragen, wird weiter wachsen.
  • Der recherchierende, einordnende Journalismus gerät weiter unter Druck.
  • Auch die Presse orientiert sich vermehrt an den Unterhaltungsbedürfnissen der Medienkonsumenten.

Bezeichnenderweise wurde diese wissenschaftliche Untersuchung von rechter Seite schon torpediert, bevor sie Resultate vorgelegt hat. Dafür gibt es gute Gründe: Rechtspopulistische Politik profitiert davon, dass Medien episodisch, isoliert und billig arbeiten – da ihr langfristiges Ziel gerade die Gefährdung des »Funktionieren der Demokratie« (Imhof) ist.

Die Ursachen liegen für die Forschergruppe in der »Gratiskultur« – sprich in der Tatsache, dass in einem traditionellen Modell die Werbung die Redaktionen finanziert hat und die AbonnentInnen oder KäuferInnen einer Zeitung lediglich für die Druck- und Vertriebskosten aufkommen mussten. Da nun der Werbemarkt eingebrochen ist, reicht das Geld nicht mehr für die Finanzierung von qualitativ hoch stehend arbeitenden Redaktionen.

Eine Konsequenz wäre die der NZZ:

«Wir müssen für hochwertige Inhalte Geld verlangen», sagt Peter Hogenkamp; er ist neuer Leiter Digitale Medien beim Verlagshaus. «Sonst können wir künftig die Redaktionen nicht finanzieren.»

Hogenkamp will also die LeserInnen an den redaktionellen Kosten beteiligen – sprich: Man müsste als LeserIn für das gleiche wie früher neu mehr bezahlen, weil eine andere Einnahmequelle versiegte.

Ich überlege schon seit längerem, ob es einen vergleichbaren Fall gibt, in dem KonsumentInnen bereit waren, für ein Produkt mehr zu bezahlen, weil jemand anderes es nicht mehr im gleichen Ausmass finanziert hat.

Andererseits kann man auch einen anderen Blickwinkel wählen: Die digitale KonsumentIn finanziert zwar »Druck« und Vertrieb (indem sie ein Endgerät kauft und den Datentransfer zumindest teilweise bezahlt), könnte aber gerade gleich viel wie bisher bezahlen – weil er/sie ja auch gleich viel erhält auf dem Netz.

Die Kritik am Vorgehen der NZZ wurde von Marcel Weiss auf Netzwertig.com schon detailliert formuliert. Sie lässt offen, welche Alternativen bestehen. M.E. sind es nur zwei:

  1. Der Staat ermöglicht eine funktionierende (und die Demokratie ermöglichende) Medienlandschaft, indem er beispielsweise mit Billag-Gebühren (die als umfassende »Medien-Steuer« erhoben würden«) eine nachhaltig operierende, politisch neutrale Nachrichtenagentur aufbaut, die starke Wirtschafts- und Auslandredaktionen hat. Diese Agentur würde Tageszeitungen, Onlineportale und audiovisuelle Medien gleichermassen und gratis bedienen. (Die Unterstützung für das Schweizer Fernsehen viele weg – diese Unterstützung mutet in Zeiten von Medienkonvergenz ohnehin anachronistisch an.)
  2. Der Online-Werbemarkt legt zu und ermöglicht dank neuer Modelle eine ähnliche Finanzierung wie sie bisher möglich war. Wenn Werbung bisher meine Zeitung finanziert hat – warum sollte sie es in Zukunft nicht mehr tun?
    (Hier gibt es dann wohl das Problem, dass Internetwerbung ihre Wirksamkeit zu gut messen kann – und so günstiger verkauft werden muss als Printwerbung.)