Adbusting – Sachbeschädigung oder kreativer Umgang mit Außenwerbung?

In der Schweiz gibt es so viel Außenwerbung wie sonst nirgends. Die IG Plakat Raum Gesellschaft schreibt:

In der Stadt Zürich allein stehen rund 8300 Plakatflächen. Das sind mehr als in der Millionenstadt Los Angeles. Rund ein Viertel dieser Plakate steht auf öffentlichem Grund, drei Viertel auf privatem Grund. Alle aber sind vom öffentlichen Grund aus sichtbar.

Ein Ländervergleich sieht wie folgt aus:

Es ist wohl nicht abwegig, diese Form von Werbung als eine Belästigung im Sinne von Umweltverschmutzung (wie Lärm oder schmutzige Luft) zu betrachten.

Das Problem verschärft sich, wenn auf Plakatwänden Kampagnen platziert werden, welche falsche Behauptungen verbreiten, Geschlechterrollen zementieren, die fatale Auswirkungen haben oder ein politisches Klima schaffen, welches die Schweiz zu destabilisieren droht.

Eine Reaktion auf das Problem nennt sich »Adbusting«. Diese Aktionen gehen zurück auf eine Bewegung der Amerikaner Jack Napier und Irving Glikk, welche 1977 die Billboard Liberation Front gründeten. Sie folgten einigen Grundregeln:

Sie gelobten, bei der Rettung von Werbeflächen einem eigenen Ehrencodex zu folgen: So wollten sie lediglich wiederentfernbare „Korrekturen“ an Plakaten durchführen, ohne die Originalplakate dabei zu beschädigen. Zudem sollten ihre Überarbeitungen stets so professionell gestaltet sein, dass man den Unterschied zum Original kaum erkennen könnte.

Der Begriff Adbusting geht auf Kalle Lasn zurück, einen ehemaligen Marketingexperten, welcher sich für die Zugangsfreiheit zu den Werbemedien einsetzte, nachdem ihm bewusst wurden, dass nicht alle Bewegungen die Möglichkeit hatten, für ihre Anliegen Werbung platzieren zu können. Er hat das Adbusters Magazin gegründet, mit dem er Kampagnen organisiert und abbildet (z.B. die Idee, dass man einen Tag im Monat nichts kaufen soll). Die neueste Ausgabe des Hefts findet man hier.

Wikipedia zitiert das offizielle Programm der Bewegung:

Wir sind ein weltweites Netzwerk von Künstlern, Aktivisten, Schriftstellern, Schelmen, Studenten, Pädagogen, Erziehern und Unternehmern, die die neue soziale Bewegung des Informationszeitalters voranbringen wollen. Unser Ziel ist der Sturz der bestehenden Machtstrukturen und einen deutlichen Richtungswechsel in unserer Lebensweise im 21. Jahrhundert zu bewirken.
Adbusters ist im Grunde eine ökologische Zeitschrift, die die Beziehung zwischen Menschen und der Umwelt, materiell als auch geistig, untersucht.
Adbusters kommentiert soziale Trends in den entwickelten Staaten und ihr Hauptziel ist die Verminderung des Einflusses und der Vorherrschaft der Werbung und des Konsums.

Die Frage ist nun, ob die Reaktion auf die SVP-Plakate, die man sich auf einem Tumblr ansehen kann, die Kriterien dieser Bewegung erfüllt. Handelt es sich um eine gehaltvolle, künstlerische Aktion, mit der ein Wille ausgedrückt wird, die Richtung zu wechseln – oder ist es nur eine ohnmächtige, fast einfältige Reaktion auf eine Bewegung, welche ihre Anliegen gut verkaufen kann? Die Lesenden mögen selbst entscheiden.

4 Kommentare zu “Adbusting – Sachbeschädigung oder kreativer Umgang mit Außenwerbung?

  1. Ich empfinde die grossen Plakate, die überall die Sicht und das Stadtbild ruinieren, durchaus als Belästigung und Verschmutzung, wie du sagst, zumal sie selten witzig oder künstlerisch einfallsreich sind.
    Bei den verhunzten rassistischen SVP Plakaten gibt’s tolle Perlen. ‚Schweine wählen SVP‘ gehört nicht dazu. Man muss nicht tiefer sinken als die Rassisten. Wenn schon, dann ‚Schafe‘. Die U-17 Helden, die Bierflaschen und die Kuh-Statistik hingegen finde ich Klasse. Da bin ich mir noch immer nicht ganz sicher: Ist die Statistik vom Kommittee für fantasievolle Statistik, oder vom Bauernverband?? Erst dachte ich ‚geniale Verarschung‘, dann beschlichen mich Zweifel… – das kann nicht vom Bauernverband sein – oder etwa doch?
    Auch das ‚Sex für alle Poster‘ ist witzig. – Ist es eine hilflose Re-aktion auf die Millionen Franken Dampfwalzenkampagne? Ja, schon, aber eine entlarvende und gelungene. Aber eben – wo sind unsere Millionen, um damit die Strassen zu tapezieren? – Immerhin kursieren die veränderten Varianten weitflächig im Netz.
    Unter das ‚Schweizer wählen SVP‘ gehört ergänzt: ‚Schweizerinnen wissen’s besser!‘

  2. Pingback: Massenverdankschreibung | Journalistenschredder

  3. Als die erste Welle der SVP-Plakatkampagne das Land und vor allem die Bahnhöfe überflutete, war ich erleichtert zu sehen, dass es ein organisiertes Verhunzen der besagten Plakate gibt. Balsam auf meine Seele. Nach den Sünnelibildli ist nun der fullminante, kombinierte Countdown aktuell. Am liebsten würde ich die Augen schliessen, um die Plakat nicht sehen zu müssen – da die Plakate jedoch eine gefährliche Dichte aufweisen, lasse ich es lieber bleiben. Gerne würde ich die in mir ausgelöste Aggressionen wieder los werden. Insgeheim träume ich von einer Perfomance, in welcher wir all die provozierte Aggressionen den Plakaten zurückgeben… z.B. in Form eines Schreies, eines Aufschreiens, eines Urschreis oder auch witzigerweise eines Tarzanschreis. Vielieicht wird es in den nächsten Tagen etwas lauter in den Bahnhofhallen, die so toll hallen!

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