Aufgaben – und mal wieder Facebook und Feminismus

Immer wieder werde ich von LeserInnen meines Blogs gefragt, warum ich denn in Foren und in den Kommentarfunktionen mit Leuten diskutiere, die erstens kaum zu einer Diskussion bereit scheinen, weil sie sich eine Meinung gebildet haben, die auch kaum einer Diskussion würdig sei. Ein viel bessere Antwort, als ich sie geben könnte, habe ich heute in einer längeren Rede von Jürgen Habermas gefunden, an deren Ende er schreibt:

Der Intellektuelle soll ungefragt, also ohne Auftrag von irgendeiner Seite, von dem professionellen Wissen, über das er beispielsweise als Philosoph oder Schriftsteller […] verfügt, einen öffentlichen Gebrauch machen. Ohne unparteiisch zu sein, soll er sich im Bewusstsein seiner Fallibilität äussern. Er soll sich auf relevante Themen beschränken, sachliche Informationen und möglichst gute Argumente beisteuern, er soll sich also bemühen, das beklagenswerte diskursive Niveau öffentlicher Auseinandersetzungen zu verbessern. […] Und er darf den Einfluss, den er mit Worten erlangt, nicht als Mittel zum Machterwerb benutzen, also «Einfluss» nicht mit «Macht» verwechseln. In öffentlichen Ämtern hören Intellektuelle auf, Intellektuelle zu sein.
Dass wir an diesen Massstäben meistens scheitern, ist nicht erstaunlich; aber das kann die Massstäbe selbst nicht entwerten. Denn die Intellektuellen, die ihresgleichen so oft bekämpft und totgesagt haben, dürfen sich eines nicht erlauben – zynisch zu sein.

In diesem Sinne drei kurze Bemerkungen:

  1. Facebook und Social Media als Garanten für Meinungsäußerungsfreiheit?
    Durch diesen Artikel in der FAZ am Sonntag bin ich auf die Gedanken von Evgeny Morozov gestossen, der in diesem längeren Gespräch mit Clay Shirky in der FAZ einen kritischen Blick auf den Umgang mit sozialen Medien wie Twitter in autoritären Staaten wirft. Das Gespräch ist sehr differenziert und eine lohnende Lektüre, welche die verbreitete These, die Protestaktionen im Iran hätten von Twitter profitiert oder seien gar darauf zurückzuführen, zumindest hinterfragt, wenn nicht gar widerlegt (und die meisten Leute, welche ich kenne, wissen von Twitter wenig mehr als eben diese These). Hier einige Zitate aus dem Gespräch:
    .»Sollten wir uns nicht auch fragen, ob das Netz die Menschen empfänglicher für nationalistische Botschaften macht? Oder ob es eine gewisse – hedonistisch gefärbte – Ideologie befördern könnte, die die Menschen faktisch mehr denn je von einem sinnvollen politischen Engagement abhält? Verhilft es in autoritären Staaten sogar bestimmten nichtstaatlichen Kräften zur Macht, die nicht unbedingt auf Demokratie und Freiheit hinarbeiten? Dies alles sind schwierige Fragen, die wir nicht beantworten können, wenn wir uns nur darauf konzentrieren, wer während einer Protestwelle einen Machtzuwachs verzeichnet – der Staat oder die Demonstranten.«
    .»Wie Robert Putnam gezeigt hat, schafft Sozialkapital Werte für Menschen innerhalb eines Netzwerks, während es den Menschen außerhalb des Netzwerks Nachteile bringt. Ich glaube nicht, dass Kommunikationsfreiheit automatisch zu prowestlichen Regierungen führt.«
    .»Ich bin ebenfalls nicht sicher, ob Blogger so großartige Symbole für regierungskritische Kampagnen sind. Die gewöhnlichen unpolitischen Menschen, über die wir sprechen, die, die am Ende den Mut aufbringen, auf die Straße zu gehen und die Staatsgewalt herauszufordern: Diese Menschen müssen von Leuten angeführt werden, die bereit sind, mutig für ihre Sache einzutreten, sich zu opfern, ins Gefängnis zu gehen und die nächsten Havels, Sacharows oder Solschenizyns zu werden.«
  2. Facebook und Privatheit.
    Die NZZ bzw. Joachim Güntner greifen in einem längeren Artikel mal wieder das Klischee auf, wonach Facebook einen Bereich der Privatsphäre verletze, der absoluten Schutz genießen müsse, und Menschen mit einem Profil einer diffusen Bedrohung ausgeliefert seien, welche sie einmal (z.B. bei einem Jobwechsel) einholen werde. Güntner fragt dann aber bezeichnenderweise: »wird der Leser Goffmans nicht auch bei Facebook manches interpersonelle Ritual wiederfinden, das der Soziologe beschrieb, als er von der Knüpfung und Belebung sozialer Kontakte handelte? Das Ritual der Bestätigung etwa, mit dem wir eine Äusserung einer Person oder auch eine Änderung in ihrer Lebenssituation quittieren – Glückwünsche, Lob, Neckereien, Beileid, Herstellung von Eintracht im Gespräch über Nichtigkeiten.« Und die Antwort ist natürlich: Ja, er wird. Facebook dient zur Pflege von Kontakten, und genau so wie wir im richtigen Leben Kontakte pflegen, indem wir interagieren und anderen Leute Dinge über uns mitteilen, genau so tut man das auf Facebook. Wer darauf einwenden will, dass die Daten bei Facebook aber für die Ewigkeit gespeichert und sich meiner Kontrolle (Daten entziehen sich eigentlich immer meiner Kontrolle) entziehen, soll einmal 5 Personen seiner Wahl googlen – und sich mal überlegen, wie brisant denn das im Extremfall sein könnte, was man über diese Personen herausfindet.
  3. Feminismus.
    Heute bin ich mal wieder – Sibylle Berg sei Dank – über den dämlichsten Schweizer gestolpert: René Kuhn. Der hat als neuestes Projekt ein Konzept entwickelt, das er »Antifeminismus« nennt. Der Mann denkt dermassen verworren, dass zu seinen Ergüssen nicht viel gesagt werden muss. Beängstigend ist aber sein Verständnis von Feminismus, gegen den er sich wendet: Er versteht Feminismus als eine Bewegung, welche erstens Frauen mit Privilegien ausstatten (und Männer in der Folge diskriminieren) wolle und zweitens Geschlechterrollen einführen wolle, welche unnatürlich seien (weil Frauen nichts wollen als eine Familie und Männer dafür bestimmt sind, zu arbeiten und Politik zu betreiben).
    Diese verquere Definition, die natürlich nicht auf Quellen beruht (Kuhn zitiert einmal de Beauvoir und einmal Schwarzer, aber völlig aus dem Kontext gerissen), ist verbreiteter als man denken könnte. Kaum jemand kann sich heute als Feministin bezeichnen, ohne mitleidig belächelt (weil Frauen dürfen ja schon alles) oder angefeindet zu werden (»die ist einfach verbittert, weil sie keinen Mann gefunden hat«).
    Dazu vielleicht nur zwei Gedanken:
    a) Feminismus heißt, zu erkennen, dass Geschlecht aus einer biologischen und einer sozialen Komponente besteht und Rollen veränderbar sind und aufgelöst werden sollen – dass es generell keine Rolle spielen darf, ob jemand eine Frau oder ein Mann ist.
    b) Die Schweiz ist – beispielsweise hinsichtlich der Möglichkeit für eine Frau, Karriere und Familie miteinander zu verbinden – in Sachen Gleichberechtigung und Frauenrechte im Vergleich mit den meisten europäischen Staaten extrem rückständig.

6 Kommentare zu “Aufgaben – und mal wieder Facebook und Feminismus

  1. 1. Über welches „professionelle Wissen“ verfügt ein Schriftsteller oder Philosoph?
    2. Weshalb hören Intellektuelle in öffentlichen Ämtern auf, Intellektuelle zu sein? Werden sie dümmer oder ungebildeter?
    3. Ist Facebook für die brisanten Informationen im inet verantwortlich – oder die Nutzer, die willentlich brisante Informationen ins Netz stellen?
    4. Was ist der Unterschied zwischen der verqueren Definition „Frauen mit Privilegien ausstatten“ und der wohl anerkannten von „Gleichberechtigung“? Wenn die Schweiz momentan „extrem rückständig“ ist (wieso auch immer)– läuft es dann nicht auf dasselbe Ziel des Feminismus heraus?
    5. Wenn es keine Rolle spielen darf, ob jemand ein Mann oder eine Frau ist – wie viel Wahrheit ist dann an den folgenden Aussagen:
    – 90% der Scheidungskinder wachsen bei der Mutter auf – wobei der Vater Unterhaltszahlungen leisten muss, über die die Mutter frei verfügen darf.
    – An den Vorschulen unterrichten 95%, an den Primarschulen 80% Frauen.
    – 80% der Scheidungen werden von Frauen eingereicht.
    – Ein Anschlag, Krieg o. Ä. ist umso schlimmer, je mehr Frauen und Kinder dabei sterben.
    – Frauen sind für Wehr- oder Zivildienste nicht geeignet.
    – Frauen verdienen für die gleiche Arbeit weniger als Männer.
    6. Weshalb?

    • 1. Ich verstehe die Frage nicht genau: Schriftsteller verfügen z.B. über Textsortenwissen, psychologisches Wissen etc., Philosophen über geistesgeschichtliches, logisches, argumentatives etc. War das gemeint?
      2. Weil sie in öffentlichen Ämtern eine Aufgabe zu erfüllen haben, welche ihr Denken funktionalisiert – zumindest verstehe ich Habermas so.
      3. Ich meine, die Informationen sind alles andere als brisant; zumindest wollte ich das sagen. Verantwortung gibt es m.E. nur für Handlungen, nicht für Informationen. Die Handlung wäre also, die Information zu publizieren – und liegt damit meiner Meinung nach beim User.
      4. Die gesamte Definition Kuhns ist verquer, das ist nur ein Teil davon. Das Konzept »Gleichberechtigung« bedeutet, dass der Faktor Geschlecht nicht Ursache für ungleiche Rechte von Individuen sein darf. Der Begriff »Privileg« meint aber gerade mehr Rechte als andere – widerspricht damit also genau dem, was Gleichberechtigung meint.
      (4b. Die Situation in der Schweiz ist extrem rückständig, weil die meisten Schweizerinnen und Schweizer das Gefühl haben, Geschlechterrollen seien wichtig und es sei angebracht, dass Männer beruflich aktiv sind und Frauen familiär. Zumindest ist das meine Meinung zur Ursache.)
      5. Meine Aussage, dass das Ziel des Feminismus sei, dass die Geschlechtszugehörigkeit keine Rolle spielen darf, negiert nicht, dass es Unterschiede gibt; dass also diese Aussagen wahr sein können.
      6. Warum sind sie wahr?
      a) Weil es das Vorurteil gibt, dass Frauen für Familienarbeiten besser geeignet sind als Männer.
      b) Weil Männer sich in der Betreuung von Kindern viel weniger engagieren als Frauen.
      c) Weil Männer weder an einer Vorschule noch an einer Primarschule unterrichten wollen (es verbietet es ihnen ja niemand, allein: Sie finden es nicht attraktiv.)
      d) Bei den Scheidungen müsste man vielleicht nach den Gründen fragen etc.
      e) Weil Frauen und Kinder keinen Wehrdienst leisten, sind sie als Opfer klar auch ZivilistInnen – dieser Zusammenhang ist nicht so schwer erklärbar.
      f) Warum Frauen keinen Wehrdienst leisten sollen, ist mir absolut schleierhaft.
      g) Ja, Frauen verdienen weniger. Weil es das kulturell geprägte Bild gibt, beispielsweise, dass das Einkommen für einen Mann wichtig ist, für eine Frau hingegen weniger, weil für sie beispielsweise das Aussehen entscheidender ist. (Nichts von dem halte ich für sinnvoll oder »natürlich«.)

  2. Gar keine biologischen Unterschiede? Was ist mit Muskelbildung und Sexualtrieb, die biologisch durch Testosteron gesteuert werden? Da hängt doch schon ne Menge von ab. Die Gehirnforschung scheint mir auch noch einige andere Unterschiede entdeckt zu haben. Und Krankheitsbilder wie Autismus und andere Krankheiten weisen auch auf einen verschiedenen Aufbau männlicher und weiblicher Gehirne hin

    • Das Problem bei dieser Frage ist m.E. die Definition der Geschlechter: Wenn Hormone beispielsweise dazu dienen, die Kategorien zu begründen – dann ist die Konsequenz natürlich die, dass es hormonelle Unterschiede gibt, die auch Konsequenzen haben.
      Der Punkt ist der: Irgendwo zieht man eine Grenze. Und diese Forschungen, welche diese Grenze untersuchen, sagen ungefähr: Okay, wir haben eine Grenze gezogen – und diese Grenze gibt es wirklich.
      Problematisch ist dann, dass diese Ergebnisse zu Normen werden und sich so verstärken, wie beispielsweise die tendenziell höheren Frauenstimmen dazu geführt haben, dass sich diese Differenz »künstlich« verstärkt hat, weil es als männlich gilt, tief zu sprechen und vice versa.

  3. Autismus als Männerkrankheit? Selten so gelacht, geht es noch? Es gibt ja keine Frauen damit, aber nein.

    Ich finde es korrekt wenn man sagt, dass das Geschlecht keine Rolle spielt und jeder das machen kann, was er oder sie will. Es sollte endlich Schluss sein damit irgendwelche Charaktereigenschaften, Fähigkeiten oder andere Dinge einem Geschlecht zuzuordnen, einfach weil dies immer auch mit einer Herabsetzung eines der Geschlechter einherging. So wurden boxende Frauen als Mannweiber und sich achselrasierende Männer als Weicheier abgestempelt. Da frage ich mich, was das soll.

    Die Leute sollen endlich einmal lernen zu denken und nicht irgendwelchen Vorgaben folgen.

    Als Kind meinte man ich benahm mich wie ein Junge. Ich hingegen sagte, dass es ein geschlechtsspezifisches Verhalten nicht zu 100% gibt. Kämpfende Frauen und Kindererziehende Männer sind keine Besonderheiten, sondern sollten in einer aufgeklärten Welt des 21. Jahrhunderts eine Selbstverständlichkeit sein.

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